Kundgebung in Erinnerung an den Mössinger Generalstreik

10. Februar 2018

Erinnerung zur Kundgebung zum Mössinger Generalstreik

 

Auf den Spuren des Generalstreiks
Ich heiße Sie alle herzlich willkommen, hier an diesem historischen Ort, der Langgass-Turnhalle zu Mössingen, an der wir uns heute zusammenfinden, um der Ereignisse am 31. Januar 1933 zu gedenken.


Hermann Berner, der ehemalige Museumsleiter, hatte zugesagt, diese Stadtführung abzuhalten, hat dann aber entdeckt, dass er im Urlaub ist. So muss ich ihn mit meinen bescheidenen Kenntnissen ersetzen. Ich stütze mich vielfach auf sein Material, u.a. auf den virtuellen Rundgang, den Sie sicher alle vorher intensiv studiert haben. Und auf das Materialienheft der Landeszentrale für politische Bildung.
Ich bin vorhin mit dem Fahrrad aus dem Nachbarort Nehren gekommen, auf demselben Weg, wie eine unbekannte Anzahl von Männern und Frauen von dort, die an diesem Tag ihre Mössinger Genossen unterstützen wollten. 19 Männer wurden später wegen Landfriedensbruchs verurteilt. Sie trafen sich vor dem Haus von Glasermeister August Nill in der Kirschenfeldstraße, liefen zu Fuß nach Mössingen.
Eine Tafel unseres Geschichtspfads in Nehren erinnert heute an sie.
30. Januar 1933. Hitler wird von Generalfeldmarschall Hindenburg zum Reichskanzler ernannt! Ein schicksalhafter Tag für das deutsche Volk, würde ich jetzt sagen, wenn ich der Historienheini Guido Knopp wäre, bin ich aber zum Glück nicht. Es war gar kein schicksalhafter Tag. Ebenso wenig wie der 2. Februar.
Gestern, am 2. Februar 1943, ging die Schlacht um Stalingrad zu Ende. Der Kampf um Stalingrad, heute Wolgograd, war die größte Schlacht im Zweiten Weltkrieg. Sie dauerte vom 17. Juli 1942 bis zum 2. Februar 1943. Russischen Quellen zufolge wurden während der gut sechsmonatigen Kämpfe in und um Stalingrad 487.000 Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee getötet, 650.000 weitere verwundet. Auf Seiten der Wehrmacht und ihrer Verbündeten starben 300.000 Soldaten, mehr als 90.000 Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft. Nur 6.000 kehrten davon zurück.
Als den „größten Heroenkampf unserer Geschichte“  hat Reichsmarschall Hermann Göring die Schlacht bezeichnet. Eine dicke Lüge, wie der Mann selbst!
Hat nicht die KPD, auch in Mössingen, ihren Wahlkampf mit der Losung geführt: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“
Die Kommunisten hier in der Provinz wußten es.
Jean Jaurès, der französische Sozialistenführer, unmittelbar zu Beginn des Ersten Weltkriegs von einem französischen Chauvinisten erschossen, hat gesagt: Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie eine Schlechtwetterwolke das Gewitter.
Also: Wir schreiben den letzten Tag des Monats Januar des Jahres 1933. Ganz Deutschland ist schon von Nazis besetzt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleines Dorf im Schwabenland hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Die Kommunisten vor Ort mobilisieren ihre Anhänger unter der Parole „Heraus zum Massenstreik!“, mit der die Landesleitung ihrer Partei zum Widerstand gegen die „Regierung der nationalen Konzentration“ aufgerufen hat.
Der Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer hat die „Asterix“-Anfangsformel ins Spiel gebracht, als er 2003 zum 70. Jahrestag bei einer Rede unter dem Motto „Zivilcourage einst und jetzt“ die Aktion würdigte. Hier in dieser alten, ehrwürdigen Hütte, der Langgass-Turnhalle, die das Kulturzentrum der Linken in Mössingen und auch im Steinlachtal war. Wertheimer rühmte “Charme, Witz, Kreativität“ der Mössinger Linken, manche ihrer Aktionsformen und Aussagen verglich er mit dem „skurrilen Humor“ Karl Valentins.
Mit Aktionen traten sie hervor, 1919 schon bei der Entwaffnung eines Tübinger Studentenfreikorps am Mössinger Bahnhof, das von seiner Mitwirkung an der Auflösung der Münchner Räterepublik zurückkehrte.
Beim „Fürstenbilderstreit“ 1922 hängten sie kurzerhand im Rathaus der Republik die Adelsbilder ab. Im Protokoll einer Gemeinderatssitzung heißt es: Nach Eröffnung der Sitzung führte Gemeinderat Ayen aus, dass nach Abschaffung der Monarchie und Einführung der republikanischen Staatsform in einen öffentlichen Versammlungsraum keine Fürstenbilder mehr gehören und dass sich schon viele Bürger an diesem Zustand gestört hätten. Ein bürgerlicher Antrag auf Vertagung der Angelegenheit wurde überstimmt. Nach einer erregten Debatte wurde mit 6 gegen 5 Stimmen beschlossen, die Bilder aus dem Rathaussaal zu entfernen.
Die Einschränkung der politischen Rechte wie Versammlungsfreiheit unter der Regierung Brüning versuchten sie mit einem getarnten Demonstrationszug im Gänsemarsch zu umgehen. Zu „Hitlers Schatten über Deutschland“ sprach Reichsredner Nagel von der NSDAP in Mössingen, im Juli 1932. Dem begegneten die Linken mit einer sofort anberaumten Gegenveranstaltung zur „Sonnenbestrahlung des Führers.“
Die Generalstreikler seien, sagte Wertheimer, eine “bauernschlaue Bande“ gewesen, „Blechtrommler“, deren Widerständigkeit nicht “aus heiterem Himmel“ gekommen sei.
Nein, der Mössinger Streik am 31. Januar 1933 kam nicht aus dem Nichts. Das Dorf war industriell geprägt, es war arm und zugleich weltläufig. Viele wanderten aus purer Not aus, sogenannte „Mondscheinbauern“ arbeiteten neben ihrer Tätigkeit in den Textilfabriken auf dem Feld, Handwerker suchten anderswo als Saisonarbeiter ein Auskommen und brachten bei der Rückkehr linkes Gedankengut mit.
Als die Sozialdemokraten 1898 im Wahlkreis erstmals einen Kandidaten stellten, wählten bereits 33 Mössinger die SPD. Drei Jahre später wurde in Mössingen eine
SPD-Ortsgruppe, der „Bezirksverein Steinlachtal“, gegründet. Bei den Reichstagswahlen erlangte sie 1903 bereits 33,6 Prozent, 1912 sogar 42 Prozent. Immerhin eine Partei, deren damaliger Vorsitzender August Bebel ausrief: „Ich bin und bleibe der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft.“  Dem SPD-Ortsverein folgten bald Konsumverein, Radfahrverein Frischauf, Arbeiterturner und Arbeitergesangverein. 1925 errichteten sie unter großen Anstrengungen die Turnhalle in Eigenregie. 1933 wurde sie enteignet. Nach 1945 versäumte man es, auf Rückgabe zu drängen. Sicher ein politischer Fehler.
Sie hat ihr Aussehen wesentlich verändert. Im „virtuellen Rundgang“ heißt es: „Anstelle der großen und kleinen Glasfenster zum Parkplatz hin, wurden in der gesamten oberen Hälfte der Gebäudefassade Glasbausteine eingesetzt. 1962 wurde zum Sportplatz hin ein Vereinsheim angebaut, das knapp zehn Jahre später noch einen Küchenanbau erhielt. Auf dem Dach der Turnhalle befinden sich seit einigen Jahren Sonnenkollektoren, die die Ästhetik des Gebäudes stark beeinträchtigen.“
Ohne sie hätten die Linken im traditionell pietistisch geprägten Mössingen nie diesen Zulauf gehabt. Die Turnhalle war die einzige größere Halle in Mössingen und die Linken dominierten damit das kulturelle Leben vor Ort. Vor allem für die Jugend war damit die KPD überaus attraktiv. Nur wenige gehörten dem engeren Zirkel der Partei an, die Mehrheit organisierte sich im Umfeld, wie im Sportverein, Gesangverein, der Roten Hilfe, im Konsum, dem antifaschistischen Kampfbund und dessen Trommler- und Pfeifertruppe.

So hatten sich die linken Mössinger ganz gut in ihrem Dorf eingerichtet. Man ging zum Sportverein, Gesangverein und den anderen Organisationen die der KPD angegliedert waren, in der Turnhalle gab es attraktive Veranstaltungen
Bei den Reichstagswahlen war die KPD stärker als die SPD.  Die Kommunisten arbeiteten im Gemeinderat konstruktiv, der „guten Zusammenarbeit“ verdankte man das neue Wohngebiet auf der Hilb, Kanalisation, Gemeindebad und E-Werk. Gründe dafür, warum so viele Mössinger nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler dem Aufruf der KPD zum Massenstreik folgten.
Viele Wähler, auch in Mössingen, gaben, pietistisch geprägt, mit Einsetzen der Weltwirtschaftskrise dem protestantischen Christlich Sozialen Volksdienst (CSVD) ihre Stimme, einer antidemokratischen Partei, von Radauantisemiten durchsetzt. Sie wechselten dann zur NSDAP. „Mössingen war sozusagen braunrot,“ sagt die jetzige Museumsleiterin Franziska Blum. Allerdings konnten sich die Nazis nicht auf ein Parteimilieu und politische Strukturen wie die Kommunisten stützen.
Die Ereignisse der zwei Tage:
Am 30. Januar 1933 wurde um 12 Uhr über den Rundfunk bekannt gegeben, dass Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war. Einige Stunden später traf in Mössingen ein Kurier aus Reutlingen ein und unterrichtete die ortsansässigen Kommunisten, dass die KPD für den nächsten Tag einen Generalstreik beschlossen habe. Daraufhin berief der Vorsitzende der Mössinger KPD Martin Maier (Maler) für den Abend eine öffentliche Versammlung der Arbeitervereine in der Turnhalle ein.
Über 200 Männer und Frauen folgten dem Aufruf und beschlossen, sich am nächsten Tag um 12 Uhr nochmals bei der Turnhalle zu treffen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Nach der abendlichen Zusammenkunft zog die „Antifaschistische Aktion“, Trommler und Pfeifer voraus, durch das nächtliche Mössingen. während in vielen Städten Deutschlands Fackelzüge zur Feier der „Inthronisierung“ Adolf Hitlers stattfanden, marschierte man in Mössingen, um seinen Unmut gegen dieses Ereignis zu äußern.
Am nächsten Morgen fuhr Martin Maier nach Reutlingen, zum Unterbezirkschef der KPD, Fritz Wandel. Inzwischen war auch das offizielle Flugblatt der Stuttgarter KPD-Bezirksleitung, in dem zum Massenstreik gegen Hitler aufgerufen wurde, in Mössingen eingetroffen und der Maler Jakob Textor verfertigte ein Transparent mit der Aufschrift „Heraus zum Massenstreik“.

Als Fritz Wandel mit seinem „Töff-Töff-Motorrädle“ (wie sich eine alte Mössingerin erinnert, die als Zwölfjährige an den Geschehnissen teilnahm) um 12.30 Uhr an der Mössinger Turnhalle ankam, hatten sich dort ca. 100 Leute, meist Handwerker und Arbeitslose, versammelt. Man verteilte Flugblätter und nach kurzen Stellungnahmen von Fritz Wandel, Martin Maier, Jakob Stotz und Hermann Ayen wurde ohne große Diskussion beschlossen, Richtung Pausa loszumarschieren, wo zu diesem Zeitpunkt eine Abstimmung der dort Beschäftigten über die Beteiligung an einem Generalstreik stattfand.
Kurz nach 12.30 Uhr startete der Demonstrationszug. Voraus marschierten drei Fahnenträger mit roten Fahnen, es folgte das Transparent „Heraus zum Massenstreik“ und dahinter gingen in Viererreihen die Demonstranten. Es wurden Lieder angestimmt und immer wieder Parolen gerufen, vor allem: „Wer macht uns frei? Die kommunistische Partei!“ und „Hitler verrecke!“

Manche unter Ihnen wissen, dass der Arzt und Dichter Friedrich Wolf einige Jahre in Hechingen lebte, von 1921 bis 1928. Autor des Buches „Die Natur als Arzt und Helfer“ und von Theaterstücken wie „Professor Mamlock“. Er blieb bis 1933 recht eng verbunden mit den Arbeitern im Steinlachtal. Er hatte sich 1928 der KPD angeschlossen, schrieb Agitpropstücke für den „Spieltrupp Südwest“, der auch mehrfach in Mössingen auftrat. Das Arbeitertheater war auch in der Langgass zu Gast mit einem Wolfschen Stück mit dem Titel „Wie stehen die Fronten?“, das auf einen Streik bei der Pausa zurückgeht und auf der verfehlten RGO-Politik der KPD beruht.
Anfang der 30er Jahre hielt Wolf einen Vortrag in Mössingen, hier in der Halle. Themen waren diesmal der § 218,  Schwangerschaftsverhütung und allgemeine Gesundheitsvorsorge, nachdem er vorher schon öfter vor Ort gewesen war und etwa, nach einer Reise dorthin, über die Verhältnisse in der Sowjetunion gesprochen hatte. „Das war ein Wirbel“, erzählten Mössinger Frauen später von der §218-Veranstaltung. Die Turnhalle war„brechend voll“. Über 300 Mössinger waren gekommen, darunter so viele Frauen wie nie zuvor. Die Polizei untersagte Jugendlichen unter 16 Jahren den Zutritt. In Mössingen wurde nach dieser Veranstaltung viel und heftig diskutiert. Noch nie war bisher im Dorf ein derart brisantes und privates Thema so offen angesprochen worden.
Die örtlichen Genossen der KPD wurden nun, wie eine Mössingerin erzählte, zur Anlaufstelle für Frauen, die nicht unbedingt der KPD nahe standen, aber kurzfristig Hilfe suchten für eine Abtreibung. Ein örtlicher KPD-Funktionär erinnert sich, dass die Mössinger KPD 1931 sogar mit einer Gruppe Frauen im gemieteten Bus zu Wolf und der Ärztin Elsa Kienle fahren wollte. Das Unternehmen scheiterte dann, weil Wolf und Kienle in Stuttgart wegen des „Verdachts des Verstoßes gegen den § 218“ verhaftet worden war.
In dem Buch „Da ist nirgends nicht gewesen außer hier“ von 1982 heißt es:
Die Erinnerung an Wolf ist bis heute lebendig.
vielleicht ist er der überzeugendste von außen kommende Vertreter der KPD-Politik gewesen; jedenfalls hat er es am besten verstanden, sie den eigenwilligen Mössinger zu vermitteln.“
In einem Protokoll kann man nachlesen, wie der Gemeinderat 1932 gegen eine Stimme (das war der Nazi) dem Kommunisten Wolf für einen seiner Vorträge den städtischen Lichtbildapparat zum agitatorischen Gebrauch überließ. „Bevor die Nazis kamen, hat man durchaus miteinander g’schirra können,“ sagte einmal der frühere Stadtarchivar Matthias Röhrs.
Ich habe als Mitglied der Friedrich-Wolf-Gesellschaft für den Sohn von Friedrich Wolf, Markus „Mischa“ Wolf, am 19.Januar 1923, vor 95 Jahren in Hechingen geboren, im Jahr 2004 eine kleine Stadtführung gemacht.
Ich habe damals angemerkt: Es brauchte ein halbes Jahrhundert, bis die Tafel zur Erinnerung an den Aufstand gegen Hitler hier angebracht werden konnte. “Besser spät als gar nicht“, lautete damals Wolfs diplomatischer Kommentar.
Der Streikzug begab sich von der Turnhalle durch die Langgasse in Richtung Kreuzung „Auf der Lehr“, von wo es nach rechts in die heutige Falltorstraße hinab am damaligen Rathaus vorbei.
Wir sind jetzt bei der ehemaligen Mechanischen Weberei Pausa. An der Stelle des Fabrikensembles der „Alten Pausa“ befindet sich hier seit 1992 die Altenwohnanlage „Haus an der Steinlach“. Der „virtuelle Rundgang“ sagt dazu: „Der voluminöse Bau mit seiner ausgeprägten Glasfront, erstreckt sich nicht nur über den Platz der ehemaligen Firmenanlage im Steinlachbogen, sondern nimmt auch das Gelände angrenzender Gebäude, wie der früher oberhalb gelegenen Molkerei und der Seilerei Neth ein. Die Gaststätte „Zum Schwanen“, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand und auf deren Treppe Fritz Wandel in einer flammenden Rede zum Streik aufrief, ist ebenfalls verschwunden. An dieser Stelle ist heute ein Parkplatz.“

Um 12.45 Uhr erreichte man die Buntweberei Pausa in der Falltorstraße. Dort war gerade Mittagspause. Kurz vor dem Eintreffen des Demonstrationszuges hatte in den beiden Abteilungen des Betriebs eine getrennte Abstimmung über eine Teilnahme am Generalstreik stattgefunden. Während sich eine Abteilung für eine Teilnahme aussprach, stimmte die andere mehrheitlich dagegen. Für 13 Uhr war eine neue gemeinsame Abstimmung aller Beschäftigten angesetzt worden.
Diese Zeit nützte Fritz Wandel. Er stieg auf die Treppe des gegenüberliegenden Gasthauses zum Schwanen und hielt seine „flammende Rede“, die zur Teilnahme am Generalstreik gegen Hitler aufforderte. Von der meines Wissens nur ein Satz überliefert ist: „Wenn die Hitler-Regierung am Ruder bleibe, gebe es wieder Krieg und da wolle er lieber auf der Straße verrecken“, so wird er von einem Zeitzeugen wiedergegeben.
Nach der Rede folgte ein dreimaliger Rotfront-Ruf und die Internationale wurde gesungen.

In der anschließenden Abstimmung sprach sich die Belegschaft der Pausa mit 53 zu 42 Stimmen für eine Teilnahme am Streik aus. Die Besitzer der Pausa, die jüdischen Gebrüder Artur und Felix Löwenstein, gaben daraufhin den Arbeitern für den Nachmittag frei.
Viele der Pausa-Arbeiter reihten sich nun in den Demonstrationszug ein. Zu dieser Zeit kamen auch immer mehr Mössinger und Bewohner der umliegenden Orte dazu, die teils mit dem Fahrrad herbeigeeilt waren, um am Massenstreik teilzunehmen oder einfach dieses Ereignis aus nächster Nähe zu beobachten. Ein beachtlicher Zug von ca. 600 Personen setzte sich um 13.45 Uhr die Falltorstraße abwärts in Bewegung.

Wer war Fritz Wandel? (Zitat aus Internet-Seite über Reutlingen)
In der Liste der Reutlinger Ehrenbürger sucht man ihn vergeblich, es gibt keine Ehrentafel und keine Straße ist nach ihm benannt. Dabei gehört er zu den wenigen politischen Persönlichkeiten der 30er und 40er Jahre, auf die Reutlingen wirklich stolz sein kann. Fritz Wandel, 1898 geboren, stammte aus Ebersbach an der Fils, seine Familie zog aber schon um 1900 nach Reutlingen. Er war das älteste von acht Kindern. Als sein Vater starb, war Fritz gerade 12 Jahre alt und musste schleunigst dazuverdienen,um die Familie über Wasser zu halten. Er ist unter anderem Tagelöhner bei der Firma Gustav Wagner. Während des ersten Weltkriegs wird er 1916 ins Heer des Kaiserreichs eingezogen und gerät in Kriegsgefangenschaft, aus der er 1919 nach Reutlingen zurückkehrt.
Wandel wurde Mitglied der KPD. Trotz mangelnder Schulbildung ist er intelligent und rhetorisch hoch begabt, vor allem politisch sehr engagiert. Er wird 1931 als Kommunist Mitglied im Reutlinger Gemeinderat. 1933 schlägt seine Sternstunde für die Geschichte der Region. Eben als er nach Mössingen kam, um seine Rede zu halten.
Nach der Zerschlagung des Streiks flüchete Wandel. „Wo ist Stadtrat Wandel?“ schrieb der Reutlinger Generalanzeiger am 21. Februar, denn angeblich wurde er in Reutlingens Straßen gesehen. Später druckte der GEA den amtlichen Polizeibericht: „Heute früh wurden 15 kommunistische Funktionäre verhaftet, darunter auch der kommunistische Stadtrat Fritz Wandel.“
Ob Wandels Leidensweg im neu errichteten KZ-Heuberg bei Stetten am kalten Markt beginnt, wie der GEA 2003 schrieb, ist nicht ganz klar. Dort hätte er zumindest einige Bekannte getroffen. So ist der Reutlinger SPD-Fraktionsführer und spätere Oberbürgermeister Oskar Kalbfell einer der etwa 2000 Häftlinge. Auch Hans Freytag, GEA Mitherausgeber und Gründer der Fa. Packma ist dort als prominentes „Reichsbanner“-Mitglied inhaftiert. Freytag hatte zuvor – offensichtlich vergebens – mit einer gehörigen Portion Opportunismus versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Ihn bewegten „im tiefsten dieselben Gründe, die heute auch die nationalsozialistischen Führer bei ihrem Streben um Deutschlands Einigung bewegen, nämlich der Wunsch, die deutsche Arbeiterschaft von ihren klassenkämpferischen Zielen weg an den deutschen Staat heranzuführen.“ So schrieb er selbst im Generalanzeiger.

Die fürchterlichsten Wochen seines Lebens

Vermutlich wurde aber Wandel mit anderen „Landesfriedensbrechern“ des Mössinger Aufstands gleich in Untersuchungshaft ins Reutlinger Amtsgefängnis gebracht. Fritz Wandel wurde zu vierienhalb Jahren Gefängnis verurteilt, die er in „strenger Einzelhaft“ verbrachte, damit er „sein Gift nicht an die anderen Gefangenen weiter verbreiten könne“. Nach Ablauf seiner Haftzeit wurde er in „Schutzhaft“ genommen und in das KZ-Dachau gebracht. In seinem Büchlein „Ein Weg durch die Hölle“ beschrieb er 1946 seine Erlebnisse, die er als die „fürchterlichsten Wochen seines Lebens“ bezeichnete. Ein Kalenderblatt mit einem Shakespeare Zitat aus „Macbeth“ verleiht ihm Mut: “ So lang ist keine Nacht / dass ihr nicht doch zuletzt ein Tag erwacht.“ Am 15. März 1943 wird er überraschend entlassen. Er schreibt, er habe diese Entlassung einer kleinen „Oppositionsgruppe gegen die Nazis in Reutlingen, deren Angehörige teilweise Mitglied der NSDAP waren“, zu verdanken. Als er „in Reutlingen auf dem Bahnhof ankam, da fiel mir ein Soldat um den Hals und nannte mich Vater. Ein Mädchen, das so groß war wie der Soldat, begrüßte mich gleichfalls als Vater.“ Als er fortgeholt worden war, waren seine Kinder zehn und vier Jahre alt: „Ich hätte schreien mögen vor namenloser Seelenqual.“ Schreibt Wandel.

Doch lange ist er nicht in Freiheit. Er wird zur Gestapo-Hauptstelle in Stuttgart beordert, man will ihn mit Geld und der Angst um seine Familie zu Spitzeldiensten locken. Er macht das Spiel scheinbar mit. „Ich habe gelogen, dass sich die Balken bogen … ich glaube, dass ich damals besser gelogen habe als die Nazis.“ Das ging einige Wochen gut, doch dann sagt ihm die Gestapo: „Wenn wir aus Ihnen keinen Lumpen machen können, dann machen wir eben aus Ihnen einen Soldaten.“ Er wurde in das „Strafbataillon 999“ gesteckt und gehört am Kriegsende zu den wenigen, die dieses Bataillon überlebten. 1945 wurde er unter seinem ehemaligen Mithäftling und jetzigen Oberbürgermeister Oskar Kalbfell, dessen „3. Stellvertreter“ und Leiter des Wohnungsamtes. Er wurde wieder Stadtrat der KPD und Vorsitzender der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). 1948 trat Wandel krankheitshalber als Leiter des Wohnungsamts zurück. Er war danach bei der Friedhofsverwaltung beschäftigt. Seine Frau Klara betrieb eine Gastwirtschaft.  Wandel starb 1956. Sein Büchlein „Ein Weg durch die Hölle – Dachau– wie es wirklich war“ erschien mit einer Auflage von 10 000 im Verlag Oertel & Spörer. Wandel hatte zuvor mündlich, u.a. im November 1945 in der überfüllten Bundeshalle, mit seinem Bericht „erschütternde Reaktionen“ ausgelöst, daraufhin erschien dieser in gedruckter Form.
21.12.1945 meldete der Steinlachbote:
„Wenn am vorletzten Sonntag Stadtrat Fritz Wandel aus Reutlingen im Lammhof sprechen konnte, so kommt diesem Vortrag eine besondere Bedeutung zu. Einmal war dieser Vortrag seit dem Zusammenbruch des Naziregimes der erste politische Vortrag überhaupt, und zum anderen war Mössingen der Ort, an dem Stadtrat Wandel eine seiner letzten Reden vor seiner Inhaftierung hielt. Es war dies am 30. Januar 1933, da außer in einer norddeutschen Großstadt nur noch die Arbeiterschaft des kleinen Mössingen gegen die „Machtergreifung“ Hitlers protestierte. Wenn auch die damalige Demonstration an jenem sich so beispiellos unheilvoll auswirkenden Geschehen nichts zu ändern vermochte und nur Leid und Verfolgung für die Demonstrierenden im Gefolge hatte, so war sie doch geradezu symbolisch in ihrer nunmehr historisch gewordenen Bedeutung der Erkenntnis einer sich vollziehenden Entwicklung, deren Kosten heute das ganze deutsche Volk zu tragen hat. An jenem 31. Januar 1933 hatte Stadtrat Wandel zu der Mössinger Arbeiterschaft gesprochen, und nun nach trostlos langen und bitter schweren zwölf Jahren stand er wieder zum erstenmal vor seinen Mössinger Gesinnungsfreunden. Wenn trotz mancherlei ungünstiger Umstände Stadtrat Wandel in Mössingen vor einer stattlichen Zuhörerschaft sprechen konnte, so mag dies ein Beweis dafür sein, daß die Mössinger Einwohnerschaft den Rufer zum Streik von 1933 nicht vergessen und ihm über mehr als ein Jahrzehnt hinweg trotz allem Terror und aller Unterdrückung die Treue gehalten hat.“
Es gab sie also noch, die Mössinger Linken.
In der Nachkriegszeit konnten sie aber nicht mehr an ihre Erfolge vor 1933 anknüpfen.
Unter der Überschrift „Keine Zustimmung“ meldete aber der Steinlachbote im August 1956 aus Mössingen: „Der Werbewagen des Amtes Blank wollte am Montagabend der Einwohnerschaft die Schönheiten des Dienstes in der neuen deutschen Wehrmacht vor Augen führen. Ganz offensichtlich war ein Teil der Versammelten aber ganz anderer Meinung. Ihr Protest – wenn er auch nicht immer sachlich vorgetragen wurde – gegen die deutsche Wiederbewaffnung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.“ Amt Blank war der Verteidigungsministeriumsvorgänger, man kann annehmen, dass der Protestpersonenkreis weitgehend aus jenem Mössinger Milieu stammte, das noch im März 1933 am sogenannten Geometer-Haus in Mössingen die Aufschrift anbrachte: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ Das war der Maler Jakob Textor, der dafür in Untersuchungshaft kam.
Weiter zu Merz

Wir stehen hier in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen Textilfabrik Merz, dort, wo die Mössinger Ortsmitte im Entstehen begriffen ist. Ich frage mich schon seit längerem, warum der Platz eigentlich nicht „Platz des Generalstreiks“ heißen soll? Das wäre mitten in der Stadt eine Benennung, die wahrgenommen und Fragen auslösen würde.
Eine Frau will ich vorab noch würdigen.
„Nicht Fuchs, nicht Leu, selbst nicht die Tigerkatze“ schreckten sie, nicht mal Kerker oder Tod. „Kein Weihrauchduft umnebelt meine Seele, nicht Rang und Würden drücken mir das Haupt“, schrieb Anna Nill über sich selbst, in einem Gedicht, das anfängt mit den Worten „Ich hab’s gewagt.“ Die Tochter des Mössinger Messerschmieds, die als junges Mädchen um 1900 nach Amerika auswanderte, war eine Eigene. Später als einzige Frau aktiv als Mitglied in der örtlichen KPD-Gruppe, wo sie auch auf Versammlungen sprach. Dann verließ sie Mössingen wieder, dem sie als Wohltäterin verbunden blieb. In der historischen Messerschmiede wird an sie erinnert, auch gibt es eine Anna-Nill-Straße.
Ein Mössinger erzählte über Post von Anna Nill aus Amerika: „Und dann hat sie mir auch mal eine Karte geschrieben, da stand drauf: „Das Dritte Reich wird zusammenfallen wie ein Fudigel auf dem Felde.“ Ein Fudigel, das ist ein Pilz, „der so stäubt, wenn man drauftritt.“ So hatte diese Frau auch da wieder recht.
Es bedurfte allerdings mächtiger Schläge von mehreren Seiten, bis der giftige Bovist der Hitlerei am Ende in Grund und Boden gestampft war. Militärisch zumindest. Denn der braune Staub ist noch immer in der Luft. Doch es wird hoffentlich nie wieder heißen: „Do isch neana nonz gwäa als wie do..“, wie die Generalstreikteilnehmerin Anna Renz 1978 in einem Interview sagte. „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“. Die Tübinger Wissenschaftler machten das zum Titel ihres Buches. Der damalige Rathauschef meinte, sich bei Erscheinen des Buches über die Grammatik mokieren zu müssen.
Zum Ereignis:
Kurz vor 14 Uhr traf der Demonstrationszug bei der Firma Merz ein. Die Trikotwarenfabrik in der Bahnhofstraße war damals der größte Betrieb in Mössingen und hatte um die 400 Beschäftigte.
Die Streikteilnehmer marschierten in den Fabrikhof, öffneten die Türen zum Web- und Nähsaal sowie zum Kesselhaus und riefen dabei: „Auf, raus zum Generalstreik!“ und „Motoren abstellen!“ Die meisten der Angesprochenen machten jedoch keine Anstalten, der Aufforderung zu folgen.
Nach heftigen Wortgefechten gelang es den Streikenden, die Maschinen im Websaal abzustellen. Im Nähsaal, wo fast nur Frauen arbeiteten, hatten sie weniger Erfolg. Da jedoch immer mehr Demonstranten in den Nähsaal eindrangen, war an ein Weiterarbeiten nicht mehr zu denken. Nach und nach verließen die Näherinnen ihren Arbeitsplatz, und diejenigen, die nicht freiwillig dazu bereit waren, wurden von ihren Plätzen gezerrt und nach draußen abgedrängt. Otto Merz, der zwischenzeitlich versucht hatte, die Streikenden zum Verlassen seines Betriebs zu bewegen und dabei von den Streikenden beschimpft worden war, telefonierte während des Tumults im Nähsaal mit dem Mössinger Bürgermeister Karl Jaggy. Merz versuchte Jaggy davon zu überzeugen, dass es notwendig sei, auswärtige Polizeikräfte zur Beruhigung der Lage herbeizurufen. Jaggy lehnte dies ab und riet Merz spazieren zu gehen, bis der ganze Spuk vorbei sei. Damit wollte sich Merz aber nicht abfinden und bat telefonisch beim Oberamt in Rottenburg um polizeiliche Unterstützung.
Die Auseinandersetzungen in der Trikotwarenfabrik Merz dauerten über eine Stunde. Um 15.15 Uhr formierte sich der Demonstrationszug wieder und ca. 800 Personen (die Zeitungen sprachen sogar von 1000 Teilnehmern) marschierten Lieder singend und Sprechchöre rufend die Bahnhofstraße hinab zur dritten großen Mössinger Textilfabrik, der Buntweberei Burkhardt, die sich in der Ofterdinger Straße befand. Als sie dort um 15.30 Uhr eintrafen, fanden sie die Fabriktore verschlossen. Merz hatte die Firmenleitung vorgewarnt.
50-60 Demonstranten überkletterten den Fabrikzaun, wobei es zu verbalen Auseinandersetzungen mit dem Aufsichtspersonal kam. Währenddessen lief der Betrieb bei Burkhardt ungehindert weiter, nur wenige der Beschäftigten unterbrachen ihre Arbeit. Daraufhin versuchten einige junge Streikteilnehmer das Fabriktor gewaltsam zu öffnen, indem sie begannen, die Kloben aus der Türe heraus zu brechen, andere schwenkten die mitgeführten roten Fahnen vor den Fabrikfenstern. Die Streikleitung unterband die Aktionen und beschloss,  zur Turnhalle zurück zu marschieren.
Als sich der Streikzug wieder auf den Weg zurück ins Dorf machte, stellte sich auf der halben Strecke eine Front von etwa 40 Reutlinger Schutzpolizisten mit Schlagstöcken und Pistolen in den Weg. Der Ort des Zusammentreffens wird etwa auf der Höhe der heute rechts abbiegenden Goethestraße vermutet. In der Bahnhofstraße standen damals nur vereinzelt Häuser sowie westlich von ihr die 1928 errichteten Shedhallen der Firma Pausa, die an dieser Stelle das alte Werk im Ortskern bis in die 1960er-Jahre ständig erweiterte. Über die rechts und links der Straße noch zahlreich vorhandenen Felder und Wiesen machten sich die Streikenden im Angesicht der übermächtigen Polizeipräsenz davon. Da der 31. Januar 1933 ein regnerischer Tag war, kehrten die Fliehenden in der Regel mit stark verschmutzten Schuhen nach Hause zurück. Für die ermittelnden Kommissare und die Polizei waren solche Schuhe in den kommenden Tagen Indizien für die Teilnahme am Streik.

Zu diesem Zeitpunkt war den Streikenden natürlich endgültig klar, dass in den größeren Städten der Umgebung nicht gestreikt wurde, denn sonst wäre die Bereitschaftspolizei aus Reutlingen sicherlich nicht nach Mössingen beordert worden. Also beschloss die Streikleitung die Auflösung des Demonstrationszuges. Die meisten Teilnehmer verließen die Straße und flüchteten rechts und links über die angrenzenden Felder. Noch am Abend des 31. Januar kamen zwei Kriminalkommissare und ein Polizeiwachtmeister nach Mössingen, auch 14 Männer der Reutlinger Schutzpolizei blieben vor Ort. So wurden schon wenige Stunden nach Auflösung des Demonstrationszuges die ersten Verhaftungen vorgenommen.
Nach wenigen Tagen umfasste die Anzahl der Festgenommenen in Mössingen, Belsen, Talheim und Nehren 58 Personen. Die Vernehmungen fanden auf dem Mössinger Rathaus statt, wo die Beschuldigten auch aussagewilligen Augenzeugen des Geschehens gegenübergestellt wurden.
Anschließend verteilte man die Verhafteten auf verschiedene württembergische Gefängnisse. Insgesamt wurde gegen 98 der Streikteilnehmer Anklage erhoben. Bei 92 lautet die Anklage auf „Landfriedensbruch“ und bei sechs, den so genannten Rädelsführern, auf „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit erschwertem Landfriedensbruch“. Wegen Landfriedensbruch wurde vor der Großen Strafkammer in Tübingen verhandelt. Die sechs wegen Hochverrats Angeklagten mussten sich vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts in Stuttgart verantworten. Verurteilt wurden 80 Personen, darunter 3 Frauen. Die Haftstrafen der Mössinger bewegten sich zwischen 3 Monaten und zweieinhalb Jahren.

1948 wurden die Urteile gegen die Teilnehmer des Generalstreiks von 1933 aufgrund der „Rechtsanordnung zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege“ aufgehoben. Als der ehemalige Konsumkassier Martin Maier 1954 gegen das Landesamt für Wiedergutmachung in Tübingen auf Haftentschädigung für die nicht in vollem Umfang angerechnete Haftzeit klagte, gab ihm das Landgericht Tübingen Recht. Zudem sah es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Vorgehen des Streikenden gewahrt. In der Begründung wurde der Streik sogar als legitime Maßnahme beschrieben, die – wie 1920 der Generalsstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch – durchaus Erfolg versprechend hätte sein können. Das Gericht hielt fest: „Wäre die Aufforderung zum Generalstreik überall befolgt worden, so wäre diese Maßnahme durchaus geeignet gewesen, das angestrebte Ziel zu erreichen, die Regierung Hitler lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen […]“.
Der Generalstreik erfuhr in der Nachkriegszeit dennoch nicht die Würdigung, die er verdient hat. Es galt als Makel, Teilnehmer gewesen zu sein. Ein kommunistischer Schandfleck. Schadenfreude über das Scheitern machte sich breit. Ehemalige NSDAP-Miglieder zogen wieder in den Gemeinderat ein. Im Jahre 1974 wurde die Gemeinde Mössingen zur Stadt erhoben. In dem dicken Heimatbuch, das zu diesem Anlass erschien, finden sich gerade mal zwei Sätze über die Aktion. Und die sind auch noch schief und falsch. Bei der Stadterhebungsfeier des inzwischen 13 600 Einwohner zählenden Ortes wurde die neugeschaffene Bürgermedaille als erstem Träger Jakob Stotz verliehen. Die Begründung erwähnt lediglich „seine persönlichen Verdienste, die er sich in uneigennütziger Weise nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 für die Gemeinde und ihre Bürger und nicht zuletzt beim Wiederaufbau der Gemeinde erworben hat“. Seine Vita vor 1945 bleibt unerwähnt, was die Ambivalenz dieser Ehrung verdeutlicht. Beim großen Sommer-Stadtfest anlässlich der Stadterhebung stellte der Historische Festzug mit 30 Wagen und 250 Mitwirkenden im historischen Kostüm Stationen der Stadtgeschichte von der Steinzeit bis zur jüngsten Gegenwart dar – der Mössinger Generalstreik war nicht dabei.
1983 kam es dann, zum 50. Jahrestag, zur großen Demonstration mit zehntausend Teilnehmern und breiter politischer Unterstützung.
Mössingens Museumsleiter Hermann Berner wiederum nannte 1993 den Streik “das bedeutendste historische Ereignis“ für die Stadt. Auch er hat sich große Verdienste um die Erinnerung erworben. Auch immer wieder ein „Mössinger Generalstreiksmuseum“ gefordert.
Einen virtuellen Erinnerungsort gibt es. Wann kommt ein realer Ort dafür, wurde die jetzige Museumsleiterin Fblum vor fünf Jahren gefragt. „Ich hoffe, bis zum nächsten Gedenktag“.  Der ist heute. Ein realer Or ist ncht in Sicht.
Im Gegensatz zu Stauffenberg und den Geschwistern Scholl habe der Widerstand aus der Arbeiterbewegung „vergleichsweise wenig Anerkennung“ gefunden, meinte Wertheimer. Aber “weshalb eigentlich sollte eines Obersten Widerstand besser gewesen sein als der eines Handwerkers und Nebenerwerbslandwirts“?
Bevor wir uns zum Jakob Stotz-Platz zur Kundgebung aufmachen, möchte ich es nicht versäumen, unseren Mössinger Freund Ludwig Waldmann zu entschuldigen. Er war am Dienstag mit dem Zug bei der Filmvorführung von „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ im Club Voltaire in Tübingen. Auf dem Heimweg ist er gestürzt und liegt jetzt im Krankenhaus. Er wäre heute sehr gerne dabeigewesen, hat er mir ausrichten lassen. Ich soll schöne Kampfesgrüße sagen…
Und ich möchte auch Doktor Dieter Schmidt danken. Seiner Beharrlichkeit als Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der SPD ist es zu danken, dass die Gemeinde Mössingen im Jahr 1985 mit dem Jakob-Stotz-Platz den kommunistischen Glasermeister ehrte. Und um die Tafel an der Langgass-Turnhalle hat er auch gestritten. Schmidt hat immer und immer wieder daran erinnert und dafür gestritten, dass die Widerstandsaktion nicht vergessen wird, auch in jenen Tagen, als eine Gruppe von Stadträten und CDU-Leuten, die „Interessengruppe für Mössinger Geschichte“, im Jahr 2013 den Generalstreik und seine Protagonisten erneut angriff, bis hin zur abstrusen Behauptung von einer angeblichen Todesliste, die die Mössinger Kommunisten aufgestellt hätten. Dies auf der Grundlage des Buches eines sogenannten Lokalhistorikers namens Paul Gucker, dessen Hauptthese auf der Ansicht beruht, die Verurteilungen wegen Landfriedensbruchs seien zu  erfolgt, weil ja am 31. Januar 1933 noch keine Diktatur bestanden habe.
Nachzulesen ist die Geschichte des Streiks und der Mössinger Linken in der Neuauflage eines reichbebilderten Buches mit dem Titel „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ (Talheimer Verlag, 32 Euro), herausgegeben von Hermann Berner und Professor Bernd Jürgen Warneken. Hoffnungsvoll merkt Warneken im Vorwort an: Die Überzeugung, dass zur Identität der Blumenstadt Mössingen auch ein Strauß roter Nelken gehöre, scheint heute mehrheitsfähig zu sein.
Der Historiker Peter Steinbach mahnte jedenfalls 2013: „Nutzen Sie die Chance, die Sie hier im Ort haben.“ Man solle würdigen, dass Einzelne sich auflehnten, die Auflehnung in Mössingen sei ein „historischer Schatz“, der gepflegt gehöre.
Uns bleiben Fragen:
Wie kam es dazu, dass einfache Handwerker und Arbeiter aus der Provinz damals mutig und entschlossen auftraten, auch wenn der Streik scheiterte? Wieso musste und muss darum gekämpft werden, dass ihr Handeln Anerkennung findet? Die Hauptfragen heißen bis heute: Warum leisteten so wenige so früh Widerstand? Warum überhaupt leisteten so wenige Widerstand?

Lesenswert sind die Biographien, die sich im „virtuellen Rundgang“ finden-
Jakob Textor etwa wurde 1908 als Sohn eines Maurers und einer Fabriknäherin geboren. Er wurde schon früh mit linkem Gedankengut vertraut: Sein Vater stand der Sozialdemokratie nahe und der erste sozialdemokratische Mössinger Gemeinderat Konrad Wagner wohnte im Haus nebenan.
1924 schloss Textor eine Malerlehre ab. Arbeit fand Jakob Textor meist nur als Wander- und Saisonarbeiter. Zwischendurch war er immer wieder arbeitslos, was ihm auch die Zeit gab, aktiv am Bau der Mössinger Turnhalle mitzuwirken.
Der leidenschaftliche Sportler war Mitglied bei den Arbeiterradfahrern und -turnern, wo er der Akrobatengruppe angehörte. Sein nachhaltigstes sportliches Erlebnis war der Besuch der Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt. Bekannt wurde er in Mössingen durch seine sportliche Aktion, bei er zu den Reichstagswahlen im April 1932 auf den Kamin der Pausa kletterte und eine rote Fahne mit Hammer und Sichel hisste. Keiner getraute sich, die Fahne herunterzuholen, so dass der Heizer der Pausa schließlich solange schürte bis die Fahne verbrannte.
In der Nacht zum 31. Januar 1933 malte Textor das beim Streikzug mitgeführte Transparent mit der Aufschrift „Heraus zum Massenstreik“. Jakob Textor selbst marschierte mit zwei anderen dem Demonstrationszug voran, jeder trug eine rote Fahne. Bei der der Firma Burkhardt kletterte Jakob Textor mit einigen anderen über den Fabrikzaun und schwenkte die rote Fahne vor den Fenstern, um die Beschäftigten zur Teilnahme am Streik zu motivieren. Bei der Auflösung des Streikzugs flüchtete er wie alle anderen über die Felder nahe der Bahnhofstraße. Als er feststellte, dass ihn die Polizei nicht einholen konnte, rollte er wieder seine Fahne aus und schwenkte sie provokativ. Am nächsten Tag wurde Jakob Textor verhaftet, er kam ins Gefängnis nach Rottenburg und anschließend ins Landesgerichtsgefängnis nach Ulm. Im Juli 1933 wurde er zu acht Monaten Haftstrafe verurteilt.
Nach seiner Haftentlassung beteiligte sich Jakob Textor an der Verteilung illegaler Flugblätter gegen das Naziregime. Als er 1934 dabei erwischt wurde und sich aus der Sache herausreden konnte, stellte er seine politische Arbeit vorläufig ein. Nach fünf Jahren Kriegsteilnahme kehrte er 1945 nach Mössingen zurück und nach der Wiederzulassung der Parteien wurde er Mitglied der KPD. Mit dem KPD-Verbot 1956 beendete er sein politisches Engagement und zog sich ins Privatleben zurück.

 

 

Rede Kundgebung Mössingen

2018_Rede_Moessingen

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