Internationale Solidarität

geschrieben von Ulrich Schneider

31. Januar 2006

Ein wichtiges Element antifaschistischer Arbeit war schon immer die internationale Solidarität. Dieses Prinzip, dass politisches Handeln für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte nicht an den nationalen Grenzen halt machen oder gar zu Lasten von Menschen und Völkern anderer Nationen durchgesetzt werden kann, war eine Grunderkenntnis der Kräfte der Arbeiterbewegung, die historisch die Hauptlast des antifaschistischen Kampfes trugen.

Dabei war es keine Frage der jeweiligen politischen Position, dies galt gleichermaßen für sozialdemokratische, kommunistische und andere Richtungen der Arbeiterorganisationen.

Dieser Internationalismus im antifaschistischen Handeln wurde auch von liberalen und bürgerlichen Kräften anerkannt. Erlebten sie doch, dass Internationalismus eine existenzielle Notwendigkeit des Handelns gegen die nationalistische und chauvinistische Ideologie der jeweiligen faschistischen Herrschaft, ob in Deutschland, Italien, Spanien, Bulgarien oder in anderen Ländern war. Faschistische Ideologie und Politik, die sich zu einer direkten Bedrohung nicht nur für die Nachbarstaaten entwickelte, war in der Regel verbunden mit imperialistischen Expansions- und Herrschaftsplänen. Sie konnten nur im gemeinsamen Kampf aller von diesen Regimes bedrohten Länder und Völker bekämpft werden. Daraus ergab sich ganz originär eine Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg.

Dabei hatte solche Zusammenarbeit im antifaschistischen Handeln wenig zu tun mit dem klassischen Koalitions- und Beistandspaktdenken der herrschenden Eliten der jeweiligen Staaten. Es war vielmehr aus den Erfahrungen der Antifaschisten eine Zusammenarbeit der Völker, die sich auch in praktischer Solidarität mit den Verfolgten und im antifaschistischen Handeln ausdrückte. Dazu gehörte beispielsweise die Hilfe für Verfolgte und Exilanten oder die Unterstützung von Widerstandsgruppen bei der grenzüberschreitenden antifaschistischen Arbeit. Besonders aktiv war in diesem Zusammenhang die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF), die sich bei der Rettung von Verfolgten und beim illegalen Transport von Druckschriften hervorgetan hat. Aber auch in den Ländern des Exils war dieser Internationalismus lebendig. Er schuf die Rahmenbedingungen, dass in Prag der Exilvorstand der SoPaDe arbeiten konnte, in Moskau das ZK der KPD, in London der „Deutsche Kulturbund“ und in mehreren Ländern deutsche Antifaschisten, die im Exil die Komitees „Freies Deutschland“ und andere politische Strukturen des antifaschistischen Handelns aufbauen konnten. Antifaschismus als Internationalismus zeigte sich besonders deutlich im Kampf gegen die Bedrohung der Spanischen Republik durch den faschistischen Putsch von General Franco. Hier formte er sich in den Internationalen Brigaden, die – gegen die „Nichteinmischungshaltung“ der Westmächte – praktische Solidarität mit der bedrohten Republik übten. Die Kraft der internationalen Solidarität vermochte es, den faschistischen Vormarsch mehrere Monate erfolgreich aufzuhalten. Viele Antifaschisten zogen mit dem Bewusstsein nach Spanien, dort nicht nur Franco zu stoppen, sondern damit indirekt auch der faschistischen Bedrohung in ihrem eigenen Land entgegenzutreten.

Und nicht nur in Spanien lebte der Internationalismus. Die Teilnahme deutscher Antifaschisten in den Reihen der Armeen der Anti-Hitler-Koalition, in der französischen Résistance und im bewaffneten Widerstand anderer Länder war ein sichtbares Zeichen für diese Gemeinsamkeit der antifaschistischen Idee über Grenzen, Nationen und Völker hinweg.

Besondere Bedeutung erhielt der internationalistische Charakter des antifaschistischen Widerstandes in den Konzentrationslagern. Hier ging es darum, durch die illegale vertrauensvolle Zusammenarbeit von deutschen und ausländischen Häftlingen ein gemeinsames Überleben zu sichern. Dies war schwerer als in den Zeiten der Illegalität, da in den KZs nicht nur politisch klar denkende Häftlinge eingesperrt waren. Umso wichtiger war es für das Überleben aller Häftlinge, auch unter diesen Bedingungen Solidarität und Internationalismus zu praktizieren. In fast allen größeren Lagern bildeten sich konspirativ internationale Häftlingskomitees. Im KZ Buchenwald gelang es bekanntermaßen, sogar eine illegale Internationale Militärorganisation aufzubauen, die die Basis für die Selbstbefreiung der Häftlinge am 11. April 1945 bildete. Und es war nur konsequent, dass die befreiten Häftlinge des Lagers am 19. April 1945 einen gemeinsamen Schwur ablegten, der bis heute das Vermächtnis aller Überlebenden des KZ Buchenwald ist, aus welchem Land auch immer sie kommen.

Dieser Internationalismus und die hohe Wertschätzung der deutschen antifaschistischen Widerstandskämpfer war die Begründung dafür, dass die VVN 1947 als erste deutsche politische Organisation wieder ein gleichberechtigtes Mitglied der internationalen Gemeinschaft in der FIAPP (Fédération Internationale des Anciens Prisonniers Politiques, Internationale Föderation ehemaliger politischer Gefangener), der Vorläuferorganisation der FIR, werden konnte. Diese internationale Zusammenarbeit erwies sich als eine wirksame politische Kraft im antifaschistisch- demokratischen Neuanfang, sei es in der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern, sei es in der Verteidigung der sozialen und gesellschaftlichen Rechte der Verfolgten des Naziregimes, sei es in der Solidarität mit der vom Verbot bedrohten VVN oder im gemeinsamen Handeln gegen SS-Traditionsverbände und das Wiederaufkommen alt- und neofaschistischer Parteien und Gruppen. Im Umfeld der VVN-BdA entstanden zwei Organisationen, die im besonderen Maße mit dieser internationalistischen Arbeit verbunden sind: die DRAFD (Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V.) und die „Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik“. In dem 1992 gegründeten Verband DRAFD fanden diejenigen Frauen und Männer zusammen, die im Ausland in den Truppen der Anti-Hitler-Koalition, in den Reihen der Partisanen und Résistance-Kämpfer oder in den organisatorischen Strukturen der antifaschistischen Komitees ihren Beitrag für die Befreiung Deutschlands von Faschismus und Krieg geleistet hatten.

Sie standen in der Bundesrepublik oftmals vor dem Problem, dass ihr Kampf durch die entsprechenden Entschädigungsgesetze nicht anerkannt war, sie daher um Wiedergutmachung und politische Anerkennung streiten mussten. Während sie in den europäischen Nachbarstaaten hoch geehrt sind, mit Auszeichnungen zum „Ritter der Ehrenlegion“ ernannt werden, müssen sie in der BRD um ihre Wertschätzung streiten. Dabei gelingt es der DRAFD immer besser, in der politischen Öffentlichkeit die Leistungen und Verdienste der deutschen Antifaschisten, die an der Seite der Alliierten kämpften, zu verdeutlichen. Die Ausstellung „Deutsche in der Résistance“ wurde seit 2004 mit großem Erfolg in verschiedenen Städten gezeigt. Ein wichtiges Anliegen der DRAFD ist die Weitergabe der Erfahrungen an die nachgeborenen Generationen. Ein erfolgreiches Beispiel war sicherlich die gemeinsame Fahrt von ehemaligen Kämpfern der Résistance und jungen Antifaschisten im Sommer 2004 nach Oradour sur Glane. Dabei standen Erinnerung und Begegnung mit französischen Antifaschisten gleichberechtigt nebeneinander.

Einen wichtigen Beitrag zu antifaschistischer Internationalismus-Arbeit leisten auch die „Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik“. Sie halten mit ihren Zeitzeugen und historischen Berichten die Erinnerung an den internationalen antifaschistischen Kampf zur Verteidigung der Republik gegen die faschistische Bedrohung lebendig. Dabei leisten sie diese Arbeit in einem Netzwerk von Organisationen in Europa und den USA und in enger Verbindung mit jungen Generationen. Die alljährlichen internationalen Sommertreffen dienen dem Austausch von Erfahrungen und der Vorbereitung gemeinsamer antifaschistischer Initiativen. So ist auf Vorschlag der britischen Organisation im Frühjahr 2006 geplant, den Weg der Pyrenäen-Überquerung der ersten Mitglieder der Internationalen Brigaden, die illegal nach Spanien einreisten, nachzugehen. Hier werden in besonderem Maße auch jüngere Antifaschisten erwartet.

Ein Sonderfall ist die über vierzigjährige Arbeit des Internationalen Rombergpark-Komitees in Dortmund. Verbunden mit der Erinnerung an ein faschistisches Verbrechen in den letzten Tagen des Krieges wurde der Kontakt zu den überlebenden Angehörigen in zahlreichen Ländern zum Ausgangspunkt der internationalen Arbeit. Dieses Komitee und die Gedenkveranstaltung zum Karfreitag in der Bittermark haben sich in den letzten Jahrzehnten als Fokus der internationalen Verbindungen der antifaschistischen Organisation in Nordrhein-Westfalen erwiesen.

Die internationale Arbeit der VVN-BdA findet aber nicht nur in der FIR oder im Rahmen solcher Organisationen statt. Unser Internationalismus ist mit vielen Handlungsfeldern verbunden und wird als lebendiger Bestandteil der Arbeit der Organisation auf Bundes-, Landes- und Kreisebene verstanden. Wenn im Folgenden einzelne Beispiele angeführt werden, ist klar, dass damit nur ein kleiner Ausschnitt der unterschiedlichen Aktivitäten abgebildet werden kann.

Dieser Internationalismus zeigte sich konkret in der Unterstützung der Entschädigung für Zwangsarbeiter des faschistischen Sklavensystems. Die Sicherung von Dokumenten, die Aufarbeitung von Einzelschicksalen, wie es beispielsweise die Bremer Landesvereinigung mit dem Schicksal niederländischer Zwangsarbeiter gemacht hat, sind konkrete Beiträge zum Internationalismus. Schon seit vielen Jahrzehnten arbeitet die VVN-BdA im Saarland an der Aufarbeitung der Schicksale französischer Verfolgter im KZ Neue Bremm und anderen Haftstätten. Dies erfolgt in enger Verbundenheit mit französischen Partnern, wie der FNDIRP, der ANACR, der ANCAC und anderen. Begegnungen, Konferenzen und Dokumentationen sind die bisherigen praktischen Resultate dieser Arbeit.

Entsprechend der historischen und geographischen Nähe ist in Baden-Württemberg die Geschichtsarbeit eng mit der Arbeit am Gedenkort Natzweiler-Struthof verbunden. Dabei haben sich VVN-BdA-Mitglieder als anerkannte Betreuer von Gruppenbesuchen in der Gedenkstätte etabliert. Mit Gedenkmärschen durch das Elsass auf den Spuren von Heidi Hautval werden alternative Formen der Zugänge zur antifaschistischen Geschichte gesucht und erfolgreich umgesetzt.

Internationalistische Arbeit im Kontext einer Gedenkstätte steht auch für die Thüringische VVN-BdA im Zentrum. Seit vielen Jahren betreuen die Mitglieder die Überlebenden des KZ Buchenwald, wenn sie im Rahmen der Feiern zur Selbstbefreiung nach Thüringen kommen. Besonders im Jahr 2005 konnten zahlreiche Veranstaltungen mit Schulklassen und Jugendgruppen mit den Häftlingen aus allen Teilen Europas und aus Israel durchgeführt werden. Dadurch verbindet sich solche internationale Arbeit mit der Jugendarbeit der VVN-BdA. Ähnliches kann auch aus der Arbeit der sächsischen VVN-BdA berichtet werden. Ob es die erfolgreiche Arbeit der deutsch-tschechischen „Spurensucher“ oder die Begegnung in Auschwitz mit Jugendlichen aus Hoyerswerda ist, die von der VVN-BdA angeregt wurde.

Zu unseren internationalistischen Inhalten gehörten die politische Solidarität gegen die faschistischen Regime in Portugal, Griechenland oder Chile und – ganz aktuell – die Kampagne zur Rettung von Mumia Abu Jamal. Es war ein deutliches Zeichen dafür, dass der internationalistische Antifaschismus in der VVN-BdA lebendig ist, ihn auf dem Vereinigungskongress einstimmig als Ehrenmitglied aufzunehmen. Seine Grußadresse an den Bundeskongress Ende Mai 2005 war ein emotionaler Höhepunkt.

Der Internationalismus antifaschistischer Politik beweist sich aber nicht allein in der Solidarität mit Völkern und Menschen, die in anderen Ländern von Faschismus und Rassismus bedroht werden. Dazu gehört in unserem Land auch die Solidarität mit Menschen ohne deutschen Pass. Hier erweist sich antifaschistischer Internationalismus als „Humanismus in Aktion“, geht es doch darum, das Recht eines jeden Menschen auf Würde und körperliche Unversehrtheit zu verteidigen.

Antifaschismus ist eine internationalistische Kraft: damals, heute und morgen. Denn Internationalismus ist auch ein Gegenentwurf zu Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus – nicht allein der extremen Rechten.

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