Anstoß für neue Ermittlungen kam aus der Tübinger VVN

7. Dezember 2011

Am 10. Juni 1944 ermordete eine SS-Einheit in der französischen Kleinstadt Oradour-sur-Glane 642 Menschen, darunter 207 Kinder und 254 Frauen. Wegen dieses Verbrechens gegen die Menschlichkeit ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Dortmund und ließ die Wohnungen von sechs ehemaligen SS-Leuten durchsuchen. Den Anstoß zu den Ermittlungen hatte ein Tübinger VVN-Mitglied gegeben.

Das Tübinger VVN-Mitglied hatte einer wissenschaftlichen Untersuchung über „NS-Verbrecher und Staatssicherheit“ entnommen, dass das Ministerium für Staatssicherheit der DDR seit den Siebziger Jahren mehrere Tatverdächtige in Sachen Oradour ermittelt hatte – das MfS war in der DDR für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständig. Aber nur ein Verdächtiger war verurteilt worden, vermutlich deshalb, weil in seinem Falle die Beweislage besonders gut war. Die Studie enthielt Hinweise auf die anderen Tatverdächtigen.

Im März 2006 informierte das Tübinger VVN-Mitglied die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg über den brisanten Inhalt der Studie und regte Ermittlungen gegen die Verdächtigen an, sofern sie noch am Leben seien. Viereinhalb Jahre später gab die Zentrale Stelle das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Dortmund ab, die jetzt die Öffentlichkeit über die Hausdurchsuchungen bei den sechs mutmaßlichen Naziverbrechern informierte. Über die MfS-Akten war die Staatsanwaltschaft nämlich auch auf weitere Tatverdächtige in Westdeutschland gestoßen.

Einen Bezug zum Thema Oradour hat das Tübinger VVN-Mitglied, weil es 2004 an der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Massakers in Oradour teilgenommen hatte, zusammen mit einer Jugendgruppe aus Berlin und Brandenburg sowie zwei ehemaligen deutschen Widerstandskämpfern, die während des Zweiten Weltkrieges in der französischen Résistance gekämpft hatten. Einer der beiden, der inzwischen verstorbene Gerhard Leo, hatte u.a. gegen genau die SS-Einheit gekämpft, die das Massaker von Oradour begangen hatte. Insbesondere dank seines Engagements konnte die Gruppe als erste deutsche Delegation überhaupt an der Gedenkfeier in Oradour teilnehmen. Nach der Rückkehr aus Frankreich erarbeiteten die Jugendlichen eine Ausstellung über das Verbrechen von Oradour.

Die Tübinger VVN/BdA begrüßt die Dortmunder Ermittlungen und wünscht ihnen viel Erfolg. Nachdem schon der verantwortliche SS-General straffrei ausgegangen war, kann es vielleicht nun, 67 Jahre nach dem Massaker von Oradour, doch noch zu einer weiteren Verurteilung kommen, nach Prozessen in Frankreich 1953 und in der DDR 1983.

Intewrview mit Andreas Brendel, dem zuständigen Staatsanwalt aus Dortmund (http://www1.wdr.de/themen/panorama/massakeroradour100.html): (116 KB / 3 S.)