Der schwierige Weg zur Wahrheit – das Massaker von Sant’Anna di Stazzema

22. Januar 2014

Unter diesem Titel stand am 12. Juli 2013 ein Vortrag des Kölner Historikers Dr. Carlo Gentile im Gebäude des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart – dort, wo jetzt vorübergehend der Landtag tagt. Der Vortrag von Gentile war trotz seines historischen Themas von großer Aktualität, und genau deshalb hatten ihn VVN-BdA Baden-Württemberg und Stuttgart, Die AnStifter und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg als Referenten eingeladen.

Das Massaker, das SS-Einheiten am 12. August 1944 in Sant’Anna di Stazzema (Toskana) verübten, ist nach demjenigen von Marzabotto das zweitgrößte an italienischen Zivilisten begangene. Gleichwohl waren die Täter von der Justiz jahrzehntelang nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Erst nachdem ein italienischen Militärgericht mehrere Tatbeteiligte aus Deutschland in Abwesenheit – sie waren nicht an Italien ausgeliefert worden – verurteilt hatte, nahm die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen auf, offenbar allerdings eher widerwillig. Die Ermittlungen durch Oberstaatsanwaltschaft Häußler zogen sich jedenfalls zehn Jahre hin, und dann stellte er die Ermittlungen ein. Dr. Carlo Gentile, der maßgebliche Experte zu deutschen Kriegsverbrechen in Italien, war von Häußler nicht einmal angefragt worden.

Anders die Vertreterin der Nebenklage: Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die Überlebende vertritt, bat Carlo Gentile um Erstattung eines Gutachtens, auf das sie dann ihre Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen stützte. Am 21. Mai 2013 wies die Stuttgarter Generalstaatsanwaltschaft zwar die Beschwerde zurück; aber Häußler war wegen der in- und ausländischen Proteste – auch seitens der VVN – offenbar nicht mehr zu halten: Er trat inzwischen vorzeitig in den Ruhestand.

Zentrale Aussage Gentiles: Er kann nachweisen, dass „die SS-Aktionen (denen nach seiner Schätzung knapp 400 Menschen zum Opfer fielen) nicht nur in militärisch-operativer Hinsicht sorgfältig geplant waren, sondern dass auch die Ermordung der Einwohner der ‚gesäuberten Bandengebiete‘ als ‚Banditen‘ oder ‚Bandenhelfer‘ bereits vor Beginn des Unternehmens feststand.“ Dieser Nachweis ist Voraussetzung dafür, einen Tatbeteiligten wegen Beihilfe zum Mord verurteilen zu können, auch wenn nicht bewiesen werden kann, dass der Betreffende direkt und persönlich einen Einwohner von Sant’Anna ermordet hat. Weil seit dem Münchner Demjanjuk-Prozess ein solcher direkter Tatnachweis nicht mehr erforderlich ist, versucht zur Zeit die Dortmunder Staatsanwaltschaft, die wegen des Massakers von Oradour-sur-Glane ermittelt, einen Nachweis, wie ihn Gentile in Sachen Sant’Anna führte, nun in Sachen Oradour zustande zu bringen. Die Stuttgarter Staatsanwalt dagegen scheint diesbezüglich keine allzu großen Bemühungen an den Tag gelegt zu haben.

Aber nicht nur wegen des Skandals um die Einstellung der Ermittlungen war die Veranstaltung aktuell: Nachdem die AnStifter bereits eine Fahrt nach Sant’Anna durchgeführt hatten und eine zweite planen, wurden nun zwei Überlebende des Massakers, Enio Mancini und Enrico Pieri, nach Stuttgart eingeladen; ihnen wurde im Rahmen der AnStifter-FriedensGala am 10. November 2013 im Theaterhaus Stuttgart der diesjährige Stuttgarter Friedenspreis überreicht.

Jens Rüggeberg (aus: Antifa-Nachrichten, November 2013)