»Die Waffen nieder in der Ukraine!«
8. Juni 2014
Redebeitrag für die Kreisvereinigung Tübingen-Mössingen der VVN-BdA auf der Kundgebung der Gesellschaft Kultur des Friedens am Samstag, 31. Mai 2014, 11:55 Uhr, Holzmarkt, Tübingen
Verehrte Anwesende,
liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
liebe Freundinnen und Freunde,
die Ukraine – oder sollte man besser sagen: Poroschenkistan? – steht am Abgrund. Deshalb haben wir uns heute hier versammelt, um gegen den Krieg in der Ukraine, der ein Krieg der Kiewer Machthaber gegen die eigene Gesellschaft ist, und gegen einen möglichen Krieg gegen Rußland zu protestieren. Wir haben uns aber auch versammelt, um in unserem Land ein Zeichen zu setzen gegen Rechts, nämlich gegen die sog. Friedensbewegung 2014. Rechte und Neonazis versuchen, die infolge der Ukraine-Krise entstandene Unsicherheit und Angst auszunutzen, und zwar mit dem Ziel, die Friedens- und Antikriegsbewegung zu unterwandern, sie durch ihre Teilnahme an Demonstrationen zu diskreditieren und schließlich handlungsunfähig zu machen. Das werden wir nicht zulassen! Die Rechte versucht dies ausgerechnet mit dem Thema Ukraine – das ist ein Skandal!
Denn die Ukraine und die Aufspaltung Rußlands bzw. der Sowjetunion waren im Ersten und dann im Zweiten Weltkrieg deutsche Kriegsziele. Zwischen 1941 und 1944 war die Ukraine neben anderen Teilen der Sowjetunion Schauplatz von grauenhaften Massenmorden an der Zivilbevölkerung, vor allem an Juden, begangen von den deutschen Einsatzgruppen und Sonderkommandos, unterstützt von Polizei und Wehrmacht. Dieser historische Bezug diskreditiert die neue vermeintliche Friedensbewegung, die vielfach von Rechten gesteuert wird – schon deshalb kann es keine Gemeinsamkeit der Friedens- und Antikriegsbewegung mit dieser neurechten Bewegung geben. Das heißt nicht, die Sorge vieler Menschen um den Frieden nicht aufzugreifen. Wir müssen allerdings die richtigen Zusammenhänge herstellen.
Kommen wir also zu den Ereignissen in der Ukraine.
Auslöser der Krise war die Nicht-Unterzeichnung des neoliberalen EU-Assoziierungsabkommens durch Janukowitsch. Gesagt werden muß, daß zu Anfang der Proteste berechtigte Kritik an den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in der Ukraine auf dem Unabhängigkeitsplatz – dem »Majdan« – in Kiew vorgebracht wurde. Für eine kurze Phase waren diese Proteste durchaus friedlich und vielfältig, und sie schienen an die »Orangene Revolution« von 2004/5 anzuknüpfen. Das änderte sich jedoch sehr bald. Die Proteste nahmen Formen an, die keinen einzigen Tag in einer westlichen Stadt, geschweige denn Hauptstadt geduldet werden würden. Es beteiligten sich nationalistische, antisemitische und faschistische Gruppierungen, von denen man in den westlichen Massenmedien kaum etwas hörte. Diese militanten Kräfte gewannen sehr bald die Oberhand über den sog. »Euromajdan«.
Der Maximalismus der ukrainischen Nationalisten bestimmte nun die Richtung, von Kompromißbereitschaft war keine Rede. Die Forderung lautete: Entweder unterschreibt Janukowitsch das EU-Abkommen oder er muß gehen.
Demokratietheoretisch erscheint es höchst zweifelhaft, daß einige Tausend Menschen in Kiew per Besetzung von Plätzen und Gebäuden, dann mit roher Gewalt dem ganzen Land ihren politischen Willen aufzwingen. Welche Regierung im Westen würde der Macht der Straße weichen? Hier aber wurden ein rechtmäßig gewählter Präsident und eine legitime Regierung (ob unfähig und korrupt tut nichts zur Sache) gestürzt.
Die Träger des Protests waren die neuen Mittelschichten (die bisher schon von Privatisierungen profitiert hatten), Studierende (von denen manche westliche Stipendien bekamen), Nationalisten (vor allem aus den westlichen Landesteilen) und schließlich Pensionäre (die sich mit dem Protest und Hilfsdiensten etwas dazuverdienten). Es ist kein Geheimnis, daß Unternehmer und Oligarchen die Protestierenden für ihre Anwesenheit bezahlten (zu festen Tagessätzen) und daß die Infrastruktur auf dem »Majdan« (Zelte, Küchen, sogar mobiles Internet) ebenso von Unternehmern finanziert wurde.
Die politische Linke, Autonome, Anarchisten, Libertäre, Arbeiter, andere demokratische und dialogbereite Kräfte, die den Ausgleich sowohl in der Ukraine als auch mit Rußland suchen wollten, wurden sehr bald, brutal und dauerhaft vom »Majdan« vertrieben. Rechte, nationalistische und faschistische Forderungen und Symbolik dominierten auf dem »Majdan« und im Kiewer Zentrum – die gemäßigten bürgerlichen Kräfte haben sich davon nicht distanziert.
Nahezu von Beginn an war der Protest also nationalistisch und antirussisch grundiert. Alle Schuld wurde bei Moskau abgeladen, die EU romantisch idealisiert. Eine massive mediale Kampagne, die immer schrillere Töne annahm, begleitete die Politik im Westen und in der Ukraine. Die Dämonisierung Putins schien keine Grenzen mehr zu kennen, es folgten die schon obligatorischen Vergleiche mit Hitler und Stalin. Zwar wurde mittlerweile der Grad der Hysterie hierzulande etwas zurückgefahren, doch der rußlandfeindliche Grundzug bleibt.
Die Nationalisten, »Ultras« (also Fußballfans) und faschistischen Gruppen gaben nicht nur die Forderungen vor, sondern sie sorgten für eine beständige Eskalation der Lage. Sie waren die einzigen Gewaltbereiten. Nur durch sie konnte die politische Patt-Situation zwischen gemäßigten Nationalisten, Bürgerlichen und Wirtschaftsliberalen auf der einen Seite (v. a. aus der Westukraine) und den Massen der Industriebeschäftigten auf der anderen Seite (v. a. in der Ostukraine) aufgebrochen werden. Damit erfüllten die militanten Gruppen die klassische Funktion der Faschisten: nämlich Einschüchterung der politischen Gegner, der linken Opposition und der Vertreter der Arbeiterschaft, die Schaffung von Unsicherheit und Chaos, schließlich die Ermöglichung der Machtübergabe an Vertreter von bestimmten Wirtschaftsinteressen (in diesem Falle: eine Machtübergabe direkt an die Oligarchie). Ohne Gewalt hätte die Patt-Situation fortbestanden – und wäre erst in den regulären Wahlen 2015 entschieden worden.
Doch die ukrainische Oligarchie wollte offensichtlich nicht abwarten, sondern sichergehen. Dafür brauchte sie die Faschisten und die Unterstützung der westlichen Staaten. Die ukrainischen Milliardäre hatten sich offenbar für den Freihandel mit der EU, die Einbindung der Ukraine in westliche Militärstrukturen (als Komponente des EU-Assoziierungsabkommens) und das Zusammengehen mit den USA und der NATO, d. h. für einen antirussischen Kurs entschieden. Daß diese Entscheidung ihren eigenen, unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen auch schaden könnte, nahmen sie hin. Notfalls würde man seine Betriebe verkaufen – wie dies jüngst der neu gewählte Präsident, der »Schokoladenkönig« Poroschenko, angekündigt hat. Zehntausende Beschäftigte, vor allem in der Ostukraine, werden das Nachsehen haben. Sie können das Land nicht einfach verlassen*) oder ein anderes Business aufmachen.
Was haben wir also erlebt?
a) eine Rochade innerhalb der Oligarchie,
b) einen Tabu- und Zivilisationsbruch.
Die Umgruppierung innerhalb jener Milliardärsklasse, die nach der Wende durch Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums meist auf krummen Wegen und mit Gewalt zu ihrem unermeßlichen Reichtum gekommen ist, forderte inzwischen Hunderte Tote, Tausende Verletzte und beträchtliche materielle Schäden in der ganzen Ukraine. Der »Euromajdan« war mit Losungen gegen die Oligarchen und gegen Korruption angetreten. Nun ist einer der reichsten Männer der Ukraine zum Präsidenten gewählt worden. Bezeichnenderweise spricht er nur noch vom Kampf gegen die Korruption, um die gegen die Oligarchen gerichteten Forderungen des »Majdan« vergessen zu machen.
Was den Tabubruch angeht, war es zumindest in Europa nach 1945 ungeschriebener Konsens, daß Regierungswechsel nicht mit Hilfe von Rechtsradikalen und Faschisten herbeigeführt werden und daß Demokraten nicht mit Faschisten politische Gespräche führen, geschweige denn, daß man sie in Regierungen aufnimmt. Im Februar 2014 hat jedoch die europäische Außenministergruppe unter Führung des deutschen Ministers auch mit Tjagnibok (von der faschistischen »Swoboda«-Partei) gesprochen und auch mit ihm das Memorandum zum Machtverzicht von Janukowitsch ausgehandelt.
Seither sitzen drei faschistische Minister in der ukrainischen Regierung, weitere Faschisten in hohen Regierungs- und Staatsämtern der Ukraine.
Was bedeutet das für die innenpolitische Situation des Landes?
Die Genfer Erklärung vom April 2014 sah vor, daß paramilitärische Gruppen entwaffnet werden sollten. Statt dessen werden sie ›legalisiert‹, indem man ihre Mitglieder für die neu geschaffene ukrainische »Nationalgarde« rekrutiert. Die Ukraine ist zwar pleite, aber sie leistet sich neben Polizei, Armee und den Truppen des Innenministeriums sowie weiteren Sondereinheiten dazu noch eine neue »Nationalgarde«! Deren Angehörige gelten, wenn man diese Hintergründe kennt, als skrupelloser und gewaltbereiter als die gewöhnlichen Soldaten. Sie sollen im Donbass gegen die Aufständischen eingesetzt werden.
Der »Rechte Sektor« hat sich inzwischen – offenbar mit US-Unterstützung – als eine weitere faschistische Partei registrieren lassen. Ob er sich im Gegenzug nun nach den Wahlen vollständig ›demilitarisiert‹, bleibt abzuwarten.
Die »Partei der Regionen« ist quasi aufgelöst, auf einen ihrer populären Präsidentschaftskandidaten (Zarjow) wurde offenbar vom Oligarchen Kolomojskij ein Kopfgeld ausgesetzt, außerdem wurde er verprügelt und mißhandelt. Ihre Wahlkampfveranstaltungen wurden häufig unmöglich gemacht.
Die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) hat zwar eine bedenkliche Rolle durch die Stützung der Regierungs-»Partei der Regionen« gespielt und war in das kleptokratische, korrupte System von Janukowitsch eingebunden (Stimmenkauf), hatte aber als einzige der in der Werchowna Rada vertretenen Parteien ein sozial-/wirtschaftspolitisches Alternativprogramm, das eine gewisse Attraktivität für die Masse der abhängig Beschäftigten gehabt haben könnte, also eine Konkurrenz zu den oligarchischen Parteien und Interessen darstellte. Die Parteizentrale der KPU wurde von faschistischen Gruppen nach dem Putsch besetzt, geplündert und zerstört, schließlich in Brand gesteckt. Auf den Parteivorsitzenden, Pjotr Simonenko, wurde etwa eine Woche vor den ›Wahlen‹ von Faschisten ein Attentat verübt (ein Brandanschlag auf das Auto, in dem er fuhr). Nun soll die KPU möglicherweise verboten werden.
Kleinere oppositionelle, linke Gruppierungen wurden ebenso mit Anschlägen auf ihre Büros, durch Entführungen und Morde in den Untergrund gezwungen und terrorisiert. Diese Gewalt ging vom Rechten Sektor und anderen faschistischen Gruppen aus.
Von demokratischen und fairen Wahlkampfbedingungen konnte folglich keine Rede sein.
Jüdische Gemeinden in der ganzen Ukraine reagieren besorgt, teilweise wurden Vorbereitungen zur Ausreise getroffen (so in Odessa); einige Rabbiner haben ihren Gemeinden empfohlen, das Land zu verlassen. Bereits im Winter, noch vor dem Februar-Umsturz, wurden u. a. in Kiew einige Juden krankenhausreif geschlagen. Besonders in der Westukraine ist die Situation für jüdische Ukrainerinnen und Ukrainer kritisch.
Das Kiewer Regime unternimmt nichts, um die ›Schüsse vom Majdan‹ (Februar 2014), die dem Umsturz vorausgingen, aufzuklären.
Die Massaker von Odessa und Mariupol (Anfang Mai 2014), die mindestens Hundert Tote forderten, zeigen den offen terroristischen Charakter ihrer Urheber vom »Rechten Sektor«. Diese Pogrome sind bisher unaufgeklärt, vieles deutet auf eine Billigung, wenn nicht Beteiligung der Kiewer Machthaber an diesen Massenmorden hin. Daher verwundert es nicht, daß sie es mit der Aufklärung und Strafverfolgung nicht eilig haben.
Oligarchen wie Achmetow und Kolomojskij, letzterer wurde flugs nach dem Umsturz zum Gouverneur von Dnepropetrowsk ernannt, haben sich inzwischen regelrechte Privatarmeen zugelegt. Sie rekrutieren diese nicht nur aus ›ihren‹ Belegschaften, sondern auch aus den diversen militanten Gruppen des »Majdan«. Diese Armeen dienen vor allem zur Niederschlagung allen sozialen Protests in den neuen Territorialfürstentümern der Oligarchen.
Das Kiewer Regime spricht von »Separatisten« und »Terroristen«; »pro-russisch« gilt als Schimpfwort. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Anhänger einer Föderalisierung der Ukraine (die Poroschenko ablehnt!) oder Befürworter einer gestärkten Autonomie der einzelnen Gebiete sowie Verteidiger sprachlich-kultureller Rechte. Die Föderalisten, die in Rußland ihre Schutzmacht sehen, tragen häufig schwarz-orangefarbene Bänder, sog. St.-Georgsbänder. Aufgrund dieser Farbgebung sind die ukrainischen Nationalisten darauf verfallen, die Föderalisten als »Kartoffelkäfer« zu bezeichnen. Soweit ist auch sprachlich die Enthumanisierung der politischen Gegner bereits gediehen.
Die Militäroperationen in der Südostukraine (»ATO«, Anti-Terror-Operation), tatsächlich ein terroristischer Krieg gegen die eigene Bevölkerung, wurde direkt nach den Präsidentenwahlen wieder intensiviert. Die Nationalgarde soll die ATO weiterführen, weil die Armee schlecht ausgerüstet und vielfach demoralisiert ist. Wiederholt wurden weiße Hubschrauber mit UN-Kennung im Kampf gegen die Aufständischen eingesetzt, der Protest der UNO ignoriert!
In unseren Massenmedien hören wir kaum etwas über den Beschuß von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen aus Kampfhubschraubern, Jagdbombern und Haubitzen. Die Zahl der Todesopfer soll in die Hunderte gehen.
Noch einige Worte zu Rußland.
Die russische Führung macht es der Friedens- und antifaschistischen Bewegung nicht immer leicht. Die russische Innen- und Außenpolitik ist nicht über alle Kritik erhaben, sicher nicht. Aber von welchem Land ließe sich das sagen? Unübersehbar sind, um nur ein paar Beispiele zu nennen, ein staatlich gepflegter – für unsere Begriffe – ›Super-Patriotismus‹, eine repressive Innenpolitik und ein starker Konformitätsdruck (Stichwort Homophobie) sowie ein ausgeprägter Militärkult. Damit steht Rußland jedoch nicht allein, auch wenn das die Verhältnisse nicht besser macht.
Wenn nun im Westen behauptet wird, Putin sei der Anführer der europäischen Rechtspopulisten, dann haben wir es mit einer typischen Verdrehung zu tun. Es geht nicht darum, manche ideologischen Parallelen zu leugnen, doch so zu tun, als ob Putin den französischen Front National oder die ungarischen Rechtspopulisten und Neofaschisten steuern würde, mit dem Ziel, die EU zu zerschlagen, scheint absurd und infam.
Auch wenn Putin sicher keine ›linke‹ Politik betreibt, dürfen sich die Friedens- und Antikriegsbewegung und die politische Linke nicht in die gegen Rußland gerichtete westliche Kampagne einbinden lassen. Eine Position der Äquidistanz würde nur denjenigen in die Hände spielen, die den Konflikt mit Rußland verschärfen wollen. Daher dürfen wir nicht zulassen, daß Angreifer und Angegriffene vertauscht werden. Dies zu fordern, bedeutet eben nicht, alle Schritte der Moskauer Politik unkritisch zu begrüßen oder die russischen Verhältnisse schönzureden.
Wir treten für eine wahrheitsgemäße Berichterstattung über russische Politik und Medien ein. Die Antikriegsbewegung steht für Versachlichung und Deeskalation. Dazu gehört, daß die alten, seit Monaten reaktivierten antirussischen Stereotypen von uns entlarvt werden. Diese Stereotypen dienen der Eskalation und Markierung des Gegners. Als Feindbilder dienen sie der Kriegsvorbereitung.
Dazu nur ein Beispiel: Anfang Mai hatte der stellvertretende NATO-Generalsekretär Vershbow Rußland nicht mehr als »Partner«, sondern bereits als »Gegner« bezeichnet. Zwar ruderte daraufhin das Pentagon zurück, doch bei der NATO blieb man dabei. Dieser antirussischen Stimmungsmache müssen wir als Antikriegsbewegung entgegenwirken!
Ein Skandal ist, daß dieser Tage anläßlich der Verleihung des Aachener »Karlspreises« an Herman van Rompuy als Laudator der sog. ›Übergangspremier‹ Arsenij Jazenjuk (den Poroschenko übrigens im Amt lassen will) auftreten durfte: Immerhin befindet sich – siehe oben – in seinem Kabinett eine Reihe von Faschisten. Das ist mit dem Karlspreis offenbar zu vereinbaren. In seiner Rede bediente Jazenjuk erwartungsgemäß antirussische Stereotypen.
Poroschenko hat Anfang dieser Woche in einem Gespräch mit der Washington Post eine direkte Militärhilfe der USA für die Ukraine gefordert. Die Sanktionen gegen Rußland würden nicht ausreichen, »mehr Aggression« sei möglich.
Was in der ukrainischen Gesellschaft im Winter befürchtet wurde, nämlich ein »jugoslawisch-syrisches Szenario«, scheint einzutreten. Das, was man Janukowitsch vorwarf (die blutige Niederschlagung der Opposition), hat das Kiewer Regime zu seiner Praxis gemacht. Nach seiner Wahl wird Poroschenko umso rücksichtsloser vorgehen. Bis zu seiner Amtseinführung ist ein Blutbad in der Südostukraine zu befürchten. Der Kiewer US-Botschafter soll signalisiert haben, daß bei den »Säuberungen« bis zu 2.000 Tote »akzeptabel« seien.
Die Ukraine erscheint bereits als ein failed state, ein gescheiterter Staat. Dazu wurde sie mutwillig und sehenden Auges gemacht, keineswegs aus Unwissenheit oder Ungeschicklichkeit in den westlichen Stäben. Nein, man wußte ganz genau, was man tat, als man in der Ukraine entlang religiös-kultureller Trennlinien sozioökonomische Konflikte ›ethnisierte‹.
So reiht sich die Ukraine ein in die Folge von Regime changes in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, dem noch andauernden Versuch in Syrien – und in die Reihe von Weltordnungskriegen, wie wir sie u. a. in Afrika (z. B. Mali, Südsudan, Zentralafrikanische Republik) gegenwärtig erleben.
Vielleicht haben wir aber noch eine Chance. Der ukrainische Bürgerkrieg und ein neuer Krieg im Osten Europas können nur verhindert werden, wenn neben der dringend notwendigen Diplomatie (auf die wir allein nicht setzen können und auf die wir uns nicht verlassen dürfen) in ganz Europa die Friedens- und Antikriegsbewegung ihren Protest erhebt!
Nicht nur für die Ukraine gilt: Die sozialen Interessen der Mehrheit der Gesellschaft – und die Mehrheit bilden die abhängig Beschäftigten in jedem Land –, diese Interessen, die nicht mit der NATO-Osterweiterung und der Ausdehnung der neoliberalen, militaristischen, weitgehend undemokratischen EU zusammenfallen, diese sozialen Interessen müssen sich durchsetzen. Ohne Internationalismus, ohne internationale Solidarität wird das nicht gehen.
Stärken wir also Gewerkschaften und soziale, Friedens- und antifaschistische Bewegungen!
Daher sagen wir NEIN zu:
∙ Einsatz von Militär und Privatarmeen
∙ Kriegshetze und Kriegsvorbereitung
∙ Konfrontation mit Rußland
∙ Wirtschaftlichen und politischen Sanktionen
∙ NATO- und EU-Osterweiterung
∙ Verharmlosung und Unterstützung von Faschisten
Von der Bundesregierung fordern wir:
∙ Keine NATO-Manöver in Osteuropa
∙ Keine Rüstungsexporte in die Region
∙ Schluß mit jeglicher Eskalationspolitik
∙ Keine Zusammenarbeit mit Faschisten
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
*)Vielleicht sollen sie aber gerade das? Das EU-Assoziierungsabkommen könnte dazu führen, in der Ukraine Tausende von ›billigen und willigen‹ Arbeitskräften zu schaffen, die aus purer Not zur Emigration gezwungen sind. Sie ›dürften‹ dann – quotiert – im Westen Europas zu Hungerlöhnen und miserablen Bedingungen arbeiten.