Weg mit den Krawatten der Wettbewerbsfähigkeit!
17. März 2015
Redebeitrag zur Kundgebung „Solidarität mit den GriechInnen“ am 14. März 2015
Der Stammtisch Unser Huhn ist eine alteingesessene Tübinger Einrichtung, die manche, denen nichts Besseres einfällt, als Satire-Stammtisch titulieren. Was hat ein Stammtisch auf einer Demonstration gegen Austeritätspolitik zu suchen?
Der Stammtisch Unser Huhn mischt sich immer wieder ein, steht weiter links als möglich und denkt sich nichts Rechtes. Doch wo wir sind, ist immer hinten. Wir wollen nämlich nicht bei Cem Özdemir stehen, dort, wo nachgesonnen wird, wie Deutschland vorne und wettbewerbsfähig bleiben kann. Der Stammtisch Unser Huhn ist niemals in Konsumlaune, der Stammtisch übt kein bürgerschaftliches Ahgaschma im Sinne des Regierungspräsidiums aus, der Stammtisch Unser Hun will nicht wettbewerbsfähig sein. Wir sind seit eh und je Parteigänger des Fragezeichens. Wehren uns aber auch gegen die pauschale Verachtung des sogenannten populistischen Stammtischs und des angeblichen Dunstes über ihm gerade durch dümmliche Politiker.
Wir werden uns deshalb in die Lobbyliste des Bundestages eintragen lassen, damit intelligente Stammtische eine kleine Vertretung haben.
Der Stammtisch Unser Huhn ist seit vielen Jahren als einziger Stammtisch weltweit Mitglied der Hölderlingesellschaft. Wir fordern etwa einen zweiten und dritten Hölderlin-Turm, zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs. Wir hatten für heute einen umfangreichen Vortrag über die Griechen-Sehnsucht unseres Tübinger Hausdichters geplant, der die Versmaße der Asklepiadeischen Ode so schön einzuhalten wusste. Wir wollten ausschweifend aus seinem Briefroman Hyperion zitieren, dazu von Goethe den Monolog der Iphigenie vortragen, mit den goldenen Worten „das Land der Griechen mit der Seele suchend“, und auch Lessing mit seiner Beschreibung der Laokoon-Gruppe sowie Schillers „Griechische Götter“ anfügen. Wir wollten auf den Begriff der Humanitas eingehen, Griechenland als Geburtsland der Philosophie, der Kunst Europas, der Wissenschaften rühmen und preisen. Aber wir sind schließlich nicht Martin Walser, das nützt jetzt nichts.
Gegen die Krise helfen keine feinsinnigen Anspielungen aus dem Schatzbehälter des Abendlandsidealismus.
Fest steht aber: Homers und Hölderlins Held Achilleus hat keine Fliege getragen, Odysseus schnürte sich keine Krawatte um, nachdem er die heilige Stätte Troja zerstört hatte. Patroklos wusste nicht, was ein Selbstbinder ist.
Warum sage ich das?
Hier und heute soll es um das Wirken der neoliberalen Krawattroika nicht nur in Griechenland gehen. Es herrscht Krawattenzwang in den oberen Etagen der Honigglaspaläste, wo sich krummgelogene Erscheinungen mit Korkenzieherseelen tummeln, die nur von ihren Krawatten zusammengehalten werden. Auch bei der Deutschen Bank selbstredend, die mit der Formel Leistung mit Leichenduft, nein Leistung mit Leidenschaft, für sich wirbt. Für jede Bundestagsdebatte gilt der Satz: Die elende Blümchenkrawatte sagt mehr als der Redner. Wahrscheinlich gibt es zahlreiche Werbeverträge mit der Krawattenindustrie. Im Hintergrund gibt der besonders dezent krawattete Bundespräsident, der Freitheitsdecken-Vertreter, seinen Gauckolores-Senf dazu.
Eingeschnürtes Auftreten ist Pflicht. Es ist die „Unterwerfung unter den Kleidercode der Macht und ein Bereitschaft zur politischen Uniformität mit dem bürgerlichen Signum Krawatte“ (Florian Rötzer) in der Mitte, das bis hinunter aufs Gemächt deutet.
Klaus Kleber mit Krawatte oder Mathias Fornoff mit Krawatte befrägt in den Nachrichten Klaus Rainer Jackisch mit Krawatte auf dem Frankfurter Parkett, um zu erfahren, wie „die Märkte“ die Sache sehen, dann schalten sie um, um den neuesten Akt im Schuldendrama Griechenland auf die Bühne zu bringen. Da tauchen unvermeidlich die Schnarchsäcke Udo van Kampen mit Krawatte und Rolf Dieter Krause mit aberwitzigem Halstuch auf, die Brüsseler Korrespondenten von ARD und ZDF, die die Verlautbarungen der EU-Beamtenschaft praktisch eins zu eins wiedergeben. Sie schlafen, während sie einschläfern. Im Fall Syriza sind sie plötzlich aufgewacht. Ja, Moment mal, hier ist eine Veränderung eingetreten. Die haben ja gar keine Krawatten an, die lassen sogar das Hemd aus der Hose hängen. Krawallerie mit ohne Krawatte. Und diese Leute aus Athen schlagen einen Ton an, das ist nachgerade unverschämt. Zum Kopfschütteln. Und außerdem müssen sie in der Realität ankommen. Und so weiter.
Wir vom Stammtisch Unser Huhn sind geschworene Feinde dieser Krawattengesellschaft. Die Krawatte wird von manchen Sprachforschern mit der Garrotte in Verbindung gebracht, jenem Mordinstrument, das Generalissimus Franco in Spanien noch im März 1974 anwenden ließ, ein Halseisen, bei dem der Delinquent, an einen Holzpfahl gebunden, mit einer Würgeschlinge langsam erstickt oder ihm eine Metallschraube ins Genick gedreht wurde.
Krawatte heißt bezeichnenderweise auch ein unerlaubter Halsgriff bei den Ringern.
Und wir leben andauernd mit den medialen Vorführungen der Rituale von merkwürdigen Krawattenmännern, die irgendwo vorfahren, sich besprechen und verabreden und dann miteinander aufstellen, um ihre Krawatten ins Bild zu rücken. Krawattenheinis allerorten. Dazu kommt der unvermeidliche Wolfgang Bosbach, der praktisch jeden Abend als Dauergast in den sogenannten „Polit-Talks“ marktkonformdemokratisch berieselnd in die Wohnstuben einzieht. Mit besonders scheußlichen rosaroten Krawatten. Und da sind Ausbunde an Lächerlichkeit, wie Rainer Holznagel vom Bund der Steuerzahler, einem Etikettenschwindelverein, der die Griechen in die Mülltüte stecken will.
Was fällt mir da ein? Der alte Witz:
Was ist der Unterschied zwischen einer Krawatte und einem Kuhschwanz? Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch.
Rosa Luxemburg hat die Kritik der Krawatte bereits im Jahr 1900 aufgenommen, als sie über ihren Kontrahenten in der sozialdemokratischen Partei, Karl Kautsky, den zentristischen Krawattenträger, schrieb:„Nur die Krawatte, die Krawatte mit den wimmelnden weißen Bohnen, die den Blick förmlich faszinieren! – So eine Krawatte ist ein Scheidungsgrund.“ Aber das war für Rosa auch ein Argument im politischen Streit!
Gestern hab ich den beschlipsten Präsidenten des Europa-Parlaments in den Nachrichten gesehen, den Sozialdemokraten Martin Schulz, der gesagt hat, er habe Alexis Tsipras bei seinem Besuch gesagt: „Ihr tut alles, um ein Bild abzugeben, das nicht vertrauenswürdig ist.“ Welch eine Verdrehung! Der, dem kaum jemand glaubt, fordert Vertrauen ein.
Ich habe in einer Griechenland-Talkshow den „Kapitalmarktexperten“ Robert Halver, einen Schlipsträger seines Zeichens, sagen hören: Wettbewerbsfähigkeit ist der Lustgewinn der Volkswirtschaft. Was für eine Verdrehung. Ein armseliges Schlipsgehirn wie Jan Fleischhauer, der in Spiegel online auf dem Ticket „ehemaliger Linker“ reist, hat kürzlich in seiner Kolumne Tsipras und Varoufakis als Psychotiker bezeichnet. Er schreibt: „Um das Verhalten der Regierung in Athen zu verstehen, muss man die Medizin zurate ziehen: Wer genau hinhört, findet alle Elemente, die Fachleute dem ‚psychotischen Erleben‘ zurechnen.“ Fleischhauer stützt seine Diagnose auf ein allgemeines Interview in der „Frankfurter Allgemeinen“ mit einem Berliner Psychiater über „psychotisches Erleben“. Das habe ihm einen guten Einblick in die Gedankenwelt dieser Menschen gegeben, denen der normale Wirklichkeitsbezug abhanden gekommen ist. Was für eine Verdrehung.
Man könnte sagen, jede kleine Aufmerksamkeit, die man so einer Flitzkacke schenkt, ist vergeblich. Aber sie tut ja doch ihre Wirkung unter den Konsumenten.
Da darf auch der glänzende Schlipsträger Günter Oettinger nicht fehlen, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Bekanntlich hat er ja gesagt: Ewwrising hängs togesa. In Sachen Griechenland ist er in der Sendung von Maybrit Illner aufgefallen, als er ein Zitat von Varoufakis als „Unverschämtheit“ einstufte, das allerdings von der Redaktion verfälscht und in sein Gegenteil gekehrt worden war. Ein Zitat, das ihm aber in seiner richtigen Form bekannt gewesen sein muss.
Béla Anda, der Politik-Chef der „Bild“-Zeitung, früher Sprecher der Regierung Schröder/Fischer, wettert besonders eifrig gegen die „Radikalos-Regierung“ und schreibt Dinge wie: „Wie lederbejackte Rüpel-Rocker röhren Griechenlands Neo-Premier und sein Posterboy-Finanzminister seit ihrem mit platten Parolen erzielten Wahlsieg durch Brüssel. Ihr Gesetz ist die Straße. Hier sind sie (politisch) groß geworden.“ Die Straße trägt natürlich keine Krawatten.
Finanzminister Varoufakis hat gegen die Rolle der Europäischen Zentralbank im Schuldenstreit Stellung genommen. „Aus meiner Sicht verfolgt die EZB eine Politik gegenüber unserer Regierung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt.“ Es muss an den Krawatten liegen.
Deshalb sagen wir vom Stammtisch Unser Huhn: Weg mit den Krawatten der Wettbewerbsfähigkeit!
Ihr könnt euch noch so viele Krawatten umbinden, vorne und hinten, oben und unten, uns habt ihr noch nie getäuscht. Der Stammtisch Unser Huhn macht sich keine Illusionen über die Wirksamkeit von Argumenten oder die Möglichkeiten, die die parlamentarisch-marktkonforme Demokratie bietet.
Um noch einmal Rosa Luxemburg anzuführen. Sie hat gesagt: „Geschändet, entehrt, im Blute watend, vor Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.“
Ich komme aus der Eifel, wo man eine Abart des Moselfränkischen spricht. Ich möchte zum Schluss einen Satz zitieren, den mein Großvater Hermes, der Altkommunist, oft sagte, wenn er seine faulen Genossen der Grundorganisation auf Trab bringen wollte. Er rief:
„Ma hualen de Gickeler oussem Stahl, ma spahnen se viert de Kanuhnen, ma foahren vieret Wanterpalais und dah maachen ma Strabumm, bis et knuppt.“
Das heißt übersetzt: Wir holen die größten Hühner aus dem Stall, wir spannen sie vor die Kanonen, wir fahren zum Sturm aufs Winterpalais und dann machen wir Strabumm, bis es gehörig Wirkung zeigt.
Ich wiederhole noch einmal im Dialekt: Ma hualen de Gickeler oussem Stahl, ma spahnen se viert de Kanuhnen, ma foahren vieret Wanterpalais und dah maachen ma Strabumm, bis et knuppt.
Der Stammtisch Unser Huhn ruft euch zu: Eine Welt ohne Krawattenmännerherrschaft ist wünschbar und sogar denkbar! Auf nach Frankfurt, zur EZB! Oder, mit Bertolt Brecht, anders gesagt: Auf was wartet ihr Und wie lange noch? Die Welt braucht euch.
Jonas
Stammtisch Unser Huhn