„Rettet Gaza -Waffenstillstand sofort!“
4. November 2023
Kundgebung am 2.11.2023 auf dem Holzmarkt
Rede von Heike Hänsel für Kultur des Friedens
Liebe TübingerInnen,
seit der AK Palästina die letzte Kundgebung organisiert hatte, sind über zwei Wochen vergangen, mittlerweile wurden im Gazastreifen über 9000 Menschen durch israelische Bombardierungen getötet, darunter mehr als 3500 Kinder. UNRWA spricht davon, dass Gaza zu einem Friedhof für Kinder geworden ist. Allein bei dem gestrigen Angriff auf das Flüchtlingslager Dschabalia wurden mehr als 50 Menschen getötet und hunderte verletzt. Über 2 Millionen Menschen in Gaza sind abgeschnitten von Wasser, Strom, Lebensmittel und Medikamenten. Sie sind in Gaza eingeschlossen. Die humanitäre Hilfe ist ein Tropfen auf den heißen Stein laut Hilfsorganisationen. Die Totalblockade und das Bombardieren von Flüchtlingslagern und ziviler Infrastruktur bricht das humanitäre Völkerrecht und muss international verurteilt werden. Die israelische Regierung führt Krieg in Gaza, dies kommt einer völkerrechtswidrigen Kollektivstrafe gegen die gesamte Zivilbevölkerung im Gazastreifen gleich und damit einem Kriegsverbrechen.
Angesichts dieser Eskalation und der vielen Toten, sowie der anhaltenden Bombardierungen, ist es beschämend, dass die Bundesregierung nach wie vor nicht ihre Stimme für einen humanitären Waffenstillstand erhebt, so wie es 120 Staaten der UN und Generalsekretär Guterres getan haben. Mittlerweile spricht aktuell sogar Präsident Biden davon, es bräuchte eine „Pause“ angesichts der hohen Opferzahlen und massiven Zerstörungen in Gaza.
Um es deutlich zu sagen: Wir haben bereits damals und tun es auch heute, das Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten verurteilt, das viel Leid und neue Traumata in Israel erzeugt. Die Ermordung und Verschleppung von Zivilisten bricht das Völkerrecht und ist auch ein Kriegsverbrechen.
Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist, wie kommen wir aus dieser brutalen Spirale der Gewalt im Nahen Osten heraus, die eben nicht erst am 7. Oktober 2023 begann? Indem nun tausende bald zehntausend unschuldige Menschen in Gaza getötet werden, in dem der Gazastreifen unbewohnbar gemacht wird und 2 Millionen Menschen eventuell vertrieben werden?
Diese Überlegungen existieren ja bereits in einem Papier des israelischen Geheimdienstministeriums, das nun an die Öffentlichkeit kam. Die Autoren legen einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens vor, der darin gipfelt, die Bevölkerung auf die ägyptische Sinai-Halbinsel umzusiedeln. Am Montag bestätigte die israelische Regierung die Echtheit des Dokuments laut Berliner Zeitung. Das Büro von Netanyahu sprach von einem Konzeptpapier. Dies zeigt doch den Charakter dieser rechtsradikalen Regierung Netanyahu, die einen palästinensischen Staat verhindern will mittels Landraub und Vertreibung.
Deshalb sind wir nicht solidarisch mit dieser von rechten Siedlern dominierten Regierung sondern mit der israelischen Bevölkerung, die trauert und mit all den israelischen und jüdischen AktivistInnen weltweit, die in Israel, in New York (wo die Grand Central Station von tausenden Menschen besetzt wurde), in Washington, London und auch hier in Deutschland ihre Stimme erheben: Waffenstillstand jetzt sofort, beendet das Töten, rettet Gaza! Verhandeln statt bomben! Das gilt auch für die Hamas, die Luftangriffe müssen gestoppt und Geiseln freigelassen werden! Ebenso palästinensische Gefangene, die zum großen Teil ohne Prozess geschweige denn Urteil präventiv in sogenannter Administrativhaft in israelischen Gefängnissen sitzen, darunter viele Jugendliche.
Wer wirklich die Hamas schwächen will, muss endlich Stimmen in Palästina stärken, die zum Frieden bereit sind, und den Nährboden für Hass und Radikalisierung bekämpfen: die seit 56 Jahren andauernde israelische Besatzung und Blockade!
Premier Netanyahu betreibt genau das Gegenteil, und wird dafür mittlerweile in Israel massiv kritisiert. Zitate aus Haaretz vom 11. Oktober 2023, in der Netanyahu kritisiert wird:
„Denn seit seinem zweiten Amtsantritt als Ministerpräsident im Jahr 2009 hat derselbe Netanjahu eine zerstörerische, verzerrte politische Doktrin entwickelt und vorangetrieben, die besagt, dass eine Stärkung der Hamas auf Kosten der Palästinensischen Autonomiebehörde gut für Israel wäre.
Dies ist solide dokumentiert. Zwischen 2012 und 2018 genehmigte Netanjahu Katar die Überweisung von insgesamt etwa einer Milliarde Dollar an den Gazastreifen, wovon mindestens die Hälfte an die Hamas, einschließlich ihres militärischen Flügels, ging. Der Jerusalem Post zufolge begründete Netanjahu bei einem privaten Treffen mit Mitgliedern seiner Likud-Partei am 11. März 2019 diesen rücksichtslosen Schritt wie folgt: Der Geldtransfer ist Teil der Strategie, die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland zu spalten. Jeder, der gegen die Gründung eines palästinensischen Staates ist, muss den Geldtransfer von Katar an die Hamas unterstützen. Auf diese Weise werden wir die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln.“
In einem Interview mit der Nachrichtenseite Ynet am 5. Mai 2019 sagte der Netanjahu-Vertraute Gershon Hacohen, ein Generalmajor der Reserve: „Wir müssen die Wahrheit sagen. Netanjahus Strategie ist es, die Option von zwei Staaten zu verhindern, also macht er die Hamas zu seinem engsten Partner. Nach aussen ist die Hamas ein Feind. Im Verborgenen ist sie ein Verbündeter. In einem Tweet vom 20. Mai 2019 zitierte Channel 13 den ehem. ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak mit den Worten: „Netanjahu ist nicht an der Zwei-Staaten-Lösung interessiert. Vielmehr will er den Gazastreifen vom Westjordanland trennen, wie er mir Ende 2010 sagte.
Es lohnt sich, über die erschreckende Bedeutung dieser Äußerungen nachzudenken. Ein israelischer Premierminister selbst hat wissentlich und kalkuliert einen der erbittertsten und fanatischsten Feinde Israels kultiviert, einen Feind, dessen erklärtes Ziel die Zerstörung des Landes ist. Und er tat dies, um das aus seiner Sicht schreckliche Szenario einer Rückkehr zu israelisch-palästinensischen Verhandlungen zu verhindern. Netanjahu hat leichtsinnigerweise das Leben von Israelis aufs Spiel gesetzt, und tatsächlich haben am vergangenen Schabbat mehr als 1.400 von ihnen dieses törichte Spiel mit ihrem Leben bezahlt.
„Diese Regierung hat Blut, Ströme von Blut, an ihren Händen“, schrieb Iris Leal diese Woche zu Recht in Haaretz (Haaretz, 8. Oktober).
Angesichts solcher Einschätzungen, muss die Bundesregierung ihre Haltung gegenüber der Netanyahu-Regierung ändern, einen sofortigen Waffenstillstand fordern, und die israelischen Kräfte stärken, die bereit sind für Friedensverhandlungen mit den PalästinenserInnen, für ein Leben in Sicherheit und Würde für alle Menschen im Nahen Osten!