Vom Nazi-Diplomaten zum Nachkriegsoberbürgermeister: Hans Gmelin und die Vergangenheit, die nicht vergeht

12. Dezember 2017

Vom Nazi-Diplomaten zum Nachkriegsoberbürgermeister: Hans Gmelin und die Vergangenheit, die nicht vergeht

Gmelin Aufsatz

Waldhäuser-Ost und Wanne, Nordring und Frondsbergstraße, Schloßbergtunnel, Europaplatz und Rathaus-Arkaden – die Spuren des Wirkens von Oberbürgermeister Dr. Hans Gmelin (1955-1975) sind in Tübingen noch allenthalben sichtbar. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen jedoch weder die die Stadtplanung noch andere typisch kommunalpolitische Aspekte seiner Tätigkeit, sondern spezifische vergangenheitspolitische[1] Wirkungen und Implikationen seiner Amtszeit, die das Klima Tübingens prägten. Die Person Gmelins war nämlich bereits bei seiner erstmaligen Wahl zum Oberbürgermeister im Jahre 1954 – sein Amt trat er erst im Januar 1955 an – Gegenstand leidenschaftlicher Kontroversen, da er bekanntermaßen aktiver Parteigänger und Funktionsträger des erst wenige Jahre zuvor untergegangenen „Dritten Reiches“ gewesen war. Ob er trotzdem Oberbürgermeister werden dürfe, war damals die Frage. Hier soll untersucht werden, welche Wirkungen von seiner Wahl ausgingen, wie er in vergangenheitspolitischer Hinsicht sein Amt ausübte und ob man behaupten kann, er habe sich zum Demokraten gewandelt.

Oberbürgermeisterwahl 1954

Schon nach der Gemeindeordnung Württemberg-Hohenzollern, die 1954 in Tübingen noch galt, hatte der (Ober-)Bürgermeister nicht nur eine starke Stellung in der Kommune als Vorsitzender des Gemeinderats[2] und als Leiter der Geschäfte der Gemeindeverwaltung[3]; er wurde auch von den Gemeindebürgern direkt gewählt[4]. Die Direktwahl des Bürgermeisters hat im Geltungsbereich der „Süddeutschen Ratsverfassung“ Tradition und wurde  in den 90-er Jahren auch in fast allen anderen Bundesländern eingeführt. „Diese Volkswahl des Bürgermeisters ist ein echtes Plebiszit, eine Abstimmung über Personen. Und sie wird von den Wählern auch so wahrgenommen.“[5] Die Wähler „handeln in dem Bewusstsein, über das politische Geschick einer Person zu befinden.“[6]

Gmelin siegte 1954 im zweiten Wahlgang über den Amtsinhaber Wolf Mülberger, der wieder angetreten war. Hatte Mülberger im ersten Wahlgang noch hauchdünn vor Gmelin gelegen (41,46 % zu 41,01 % – der Drittplazierte landete abgeschlagen bei 17,44 %[7]), hatte Gmelin im zweiten Wahlgang einen deutlichen Vorsprung vor Mülberger und erhielt knapp 55 % der Stimmen.[8] 1962 wurde Gmelin übrigens unangefochten für zwölf Jahre[9] wiedergewählt, und zwar mit 98,5 % der Stimmen.[10]

Die Abwahl eines Amtsinhabers war damals eine Seltenheit, und sie ist es auch heute noch.[11] „Einmal im Amt, kann der Job des Bürgermeisters eine Lebensstellung sein, vorausgesetzt man ist fachlich gut, unbestechlich, unabhängig, bürgernah und weiß, wie es mit der Gemeinde weitergehen soll.“[12] Der Wahlsieg Gmelins 1954 über Mülbeger verdient also, gerade vor dem Hintergrund, dass er als Person umstritten war, näher betrachtet zu werden. Da er wegen seiner Nazivergangenheit umstritten war, ist es erforderlich, zunächst Biographie und Karriere Gemlins bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister Tübingens zu beleuchten.

Gmelin stammte aus einer Familie der württembergischen Ehrbarkeit, „jenem Clan von ein- oder zweihundert Familien des akademisch gebildeten Bürgertums, die (sämtlich miteinander verwandt und verschwägert) die Geschichte des Ländchens zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert (…) bestimmten, in der Mehrzahl Juristen und Theologen (…).“[13] Gmelins Vater war Amtsgerichtsdirekor in Tübingen. Er selber sagte später aus, er habe sich „auf Grund von Familientradition und Erziehung früh nationalen und patriotischen Gedankengängen zugewendet.“[14] Er gelangte über SA, Jurastudium und eine Tätigkeit als Hilfsreferent im Reichsjustizministerium in den diplomatischen Dienst.[15]

Geboren wurde Gmelin 1911 in Tübingen, wo er auch einen Teil seines Studiums absolvierte. Schon früh war er Mitglied im Jungdeutschlandbund, 1931-33 des Stahlhelm.[16] Als Student trat er einer Burschenschaft bei, der „Normannia“, deren Mitglied auch andere Familienangehörige waren – er firmierte dort als „Gmelin IV“[17], sein Bruder Ulrich als „Gmelin V“[18]. Zumindest die „Aktivitas“ der „Normannia“ war Anfang der 30er Jahre zunehmend profaschistisch orientiert: Knapp drei Viertel des Eintrittsjahrgangs 1930 wurden vor oder nach 1933 NSDAP-Mitglied.[19] Seit 1933 war Gmelin SA Mitglied, zunächst als „Obersturmführer“. In deren Hierarchie stieg er bis zum „Standartenführer“ auf (1943)[20]. Das entsprach beim Militär dem Oberst.[21] 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.[22]

 Bereits aus den Anfängen seiner SA-Zeit kannten sich Gmelin und Hanns-Elard Ludin, Gmelins Vorgesetzter während des Zweiten Weltkrieges.[23] Ludin gehörte zu den wichtigsten Vertretern von SA und NSDAP, vertrat eine „nationalrevolutionäre“ Linie[24] und hatte als einer der drei Angeklagten im „Ulmer Reichswehroffiziere-Prozess“ 1929/30 vor dem Reichsgericht gestanden, das alle drei zu Festungshaft verurteilte. Es war um die Bildung nationalsozialistischer Zellen in der Reichswehr gegangen.[25] Die Erschießungsaktion gegen den SA-Führer Röhm und andere1934 habe der SA-Führer Südwest nur durch Protektion von höchster Stelle überlebt, meinte später der ehemalige Mitangeklagte und 1931 zur KPD übergetretene Richard Scheringer.[26] 1938 nahm Gmelin als Führer der Kompanie „Hanns Ludin“ des „Sudetendeutschen Freikorps“ an der Besetzung des Sudentenlands teil.[27]

In Bratislava

Nachdem einige SA-Führer ab 1940/41 Botschafterposten in Südosteuropa erhalten hatten[28], wurde Ludin 1941 zum Gesandten in Bratislava ernannt. Die Slowakei war durch die Aufteilung der Tschechoslowakei 1939 einstanden: Während der tschechische Landesteil direkt unter deutsche Verwaltung gestellt wurde („Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“), übernahm in Bratislava ein klerikalfaschistisches Regime unter dem Priester-Präsidenten Jozef Tiso die Macht – allerdings von deutschen Gnaden: Faktisch handelte es sich um einen Satellitenstaat Hitlerdeutschlands, in dem die deutsche Gesandtschaft mehr als nur die Leitlinien der Politik mitbestimmte.

Ludin ging Anfang 1941 gemeinsam mit Gmelin, der bis dahin Leutnant in der 78. Infanteriedivision[29] gewesen war (in ihr hatten auch Scheringer und Ludin[30] gedient), nach Bratislava, zusammen mit einem weiteren Bekannten aus Stuttgarter SA-Tagen, Hans Snyckers, der dann in in der Kulturabteilung der Gesandtschaft arbeitete und ebenfalls ein enger Vertrauter Ludins war.[31] Die Gesandtschaft war das Bindeglied zwischen dem Auswärtigen Amt und der slowakischen Regierung.[32] Zum Aufgabenkreis der Gesandtschaft gehörte auch die Frage der slowakischen Juden. Seit Beginn ihrer Verfolgung und Deportation in die Vernichtungslager fungierte das Auswärtige Amt in der Slowakei „als Handlanger des Reichssicherheitshauptamtes“[33], das auch „Berater“ an die Gesandtschaft schickte. Gmelin hatte Kenntnis von den Vorgängen.[34] Beteiligt war er weiter u.a. an der Klärung von Fragen der „volksdeutschen“ Minderheit und ihrer Rekrutierung für die Waffen-SS[35]. Wie weit oben in der Hierarchie Gmelin stand, ergibt sich auch aus einer Äußerung von ihm selbst im Gespräch mit Wolfgang Venohr:

„Ich habe zweimal an Besuchen Tisos im Führerhauptquartier teilgenommen. Ich hatte den Eindruck, daß Hitler und Tiso sich sehr gut verstanden. Sie sind sich jedenfalls sehr offen und vertrauensvoll gegenübergetreten. Tiso hat sich dabei ganz normal verhalten: weder servil noch gespreizt. Er hat sich ganz bewußt als das gegeben, was er war: als biederer Landpfarrer. Sein persönliches Verhältnis zu Hitler war sicher von großer Hochachtung geprägt. Aber der deutsche Staatschef erwiderte diese Achtung und behandelte Tiso in den Gesprächen niemals als Vasallen.“[36]

Es ist davon auszugehen, dass eine Person von untergeordneter Bedeutung nicht den slowakischen Staatspräsidenten in das Führerhauptquartier hätte begleiten dürfen. Aber diese Frage schien sich Gmelin bei dem Interview nicht zu stellen. Während Tiso und Ludin 1947 in Bratislava als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren, gab Gmelin noch Jahrzehnte später gegenüber dem rechten Publizisten Venohr den Slowakei-Experten und Zeitzeugen mit fundierten Hintergrundkenntnissen. In Tübingen hat sich offenbar niemand für Venohrs Buch interessiert; Gmelins Äußerungen blieben, soweit ersichtlich, unbemerkt.

Neuanfang 1945

Zunächst von US-amerikanischem Militär interniert, beantragte Gmelin 1946 seine Entlassung und bot als Leumundszeugen u.a. den Bauern Richard Scheringer auf.[37] Stattdessen wurde er jedoch an die französische Besatzungsmacht überstellt und war bis 1948 in Balingen interniert – wobei er gegen Ende seiner Internierung zum Arbeitseinsatz bei dem Transportunternehmen seines Schwagers Konrad-Dietrich Riethmüller in Tübingen abkommandiert war.[38]

Im Juni 1948 wurde Gmelin nach Nürnberg transportiert. Dort wurde er im Prozess vor dem Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika gegen v. Weizsäcker u.a. (Fall 11 – so genannter Wilhelmstraßenprozess) als Zeuge vernommen. Gmelin befürchtete negative Auswirkungen auf sein Entnazifizerungsverfahren und erbat sich Durchschriften der Protokolle seiner Vernehmungen.[39]

Einer der Angeklagten war der – später zu 25 Jahren Gefängnis verurteilte – SS-General Gottlob Berger. Der war im September 1944 nach Ausbruch des slowakischen Nationalaufstands „Deutscher Befehlshaber in der Slowakei“ gewesen und hatte sich das slowakische Militär unterstellt. Gmelin war Verbindungsmann der Deutschen Gesandtschaft zu Berger und dessen Nachfolger Höfle. Die Vernehmungen Gmelins drehten sich deshalb vornehmlich um die Rolle Bergers in der Slowakei und seine Beziehungen zur Deutschen Gesandtschaft.

Zwar bekundete Gmelin, es habe schon seit frühen SA-Tagen Anfang der 30er Jahre Animositäten zwischen Ludin und Berger gegeben, aber er war sichtlich bemüht, Berger nicht zu belasten, insbesondere bezüglich der Deportation von Juden aus dem Aufstandsgebiet. Die Verantwortlichkeit für die Deportatationen versuchte er Bergers Nachfolger Hermann Höfle und dem Höheren SS- und Polizeiführer Josef Witiska, die beide 1948 bereits tot waren, zuzuschieben. Die Deutsche Gesandtschaft und er selbst seien dafür ohnehin nicht zuständig gewesen. Er habe vielmehr Eingaben zugunsten von Juden an Höfle weitergeleitet.[40] Kein Wunder, dass die beiden Rechtsanwälte Bergers Gmelin zum Zeugen der Verteidigung machten.[41]

Die Nürnberger Episode scheint Gmelin nicht weiter geschadet zu haben. In letzter Instanz wurde Gmelin von der zuständigen Spruchkammer als Mitläufer eingestuft.[42] Ab 1949 war Gemlin wieder im öffentlichen Dienst beschäftigt, zunächst jedoch im Angestelltenverhältnis: Der Referent im Wirtschaftsministerium Württemberg-Hohenzollerns Gmelin wurde erst zum 1.1.1952 ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen und zum Regierungsrat ernannt. Seit dem 26.5.1953 war er, der inzwischen als Berichterstatter im Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs arbeitete, Oberregierungsrat[43] Beamtenrechtlich und bezüglich der Besoldungsstufe entspricht das dem Gesandtschaftsrat, seinem letzten Dienstgrad im diplomatischen Dienst.[44] Sein beamtenrechtlicher Anspruch auf Wiederverwendung entsprechend seiner früheren Rechtsstellung ergab sich aus § 19 in Verbindung mit § 3 des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ vom 10. April 1951, das allen ehemaligen Beamten, die nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, die Rückkehr in den öffentlichen Dienst ermöglichte.[45]

Zwar war die Meldung des „Schwäbische Tagblatt“ am 11.September 1954, Hans Gmelin habe als vierter Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters seinen Hut in den Ring geworfen, nur sehr klein und versteckt in das Blatt eingerückt. Bald kristallisierte sich aber heraus, das nur zwei Bewerber echte Chancen hatten: Amtsinhaber Wolf Mülberger und Herausforderer Gmelin.

Schon während des Wahlkampfs war Gmelins Nazi-Vergangenheit Thema leidenschaftlicher Kontroversen, aber Genaueres wissen wir über sie nicht. Denn das „Schwäbische Tagblatt“ hielt sich aus der Kontroverse weitgehend heraus.[46] Es lässt sich auch kaum noch rekonstruieren, ob Gmelin nun trotz oder wegen seiner Nazi-Vergangenheit im zweiten Wahlgang gewann – oder  ob sie für die Wahl gar nicht ausschlaggebend war. Aber bezeichnend sind zwei Anzeigen aus dem OB-Wahlkampf. Die der Gmelin-Gegner lautete „Wer aus der Vergangenheit gelernt hat, kann nur Mülberger oder Heuer wählen. Viele Tübinger“[47], und die der Gmelin-Unterstützer lautete „Weil wir aus der Vergangenheit gelernt haben, wählen wir Hans Gmelin. Die Wählerfreunde von Hans Gmelin“. Worum es in der Debatte während des Wahlkampfs ging, spiegelte sich im übrigen einerseits in mehreren Stellungnahmen Gmelins und andererseits in einer Leserbriefdebatte, die sich an die Wahl Gmelins unmittelbar anschloss.

Die erste Stellungnahme Gmelins erfolgte auf einer öffentlichen Kandidatenvorstellung Ende September, über die das „Schwäbische Tagblatt“ berichtete. Gmelin verwies auf angesehene Personen aus dem Kreis seiner Vorfahren und Verwandten, auf seine Dienstzeit in der 78. Infanteriedivision, in der auch viele andere Tübinger gedient hatten, um dann auf seine Zeit in Bratislava zu sprechen zu kommen – und auf seine Stellung zum Nationalsozialismus:

„1941 wurde ich in den auswärtigen Dienst einberufen (sic!) und der Deutschen Gesandtschaft in Preßburg als Legationssekretär und später als Gesandtschaftsrat zugeteilt.“[48]

Kein Wort über seine Aufgaben und die der Gesandtschaft in Bratislava. Das „Schwäbische Tagblatt berichtete“ weiter – ohne zu erwähnen, dass es Gmelin in der SA bis zum Standartenführer (Oberst) gebracht hatte:

„Gmelin ging ausführlich auf seine politische Vergangenheit ein, und er versuchte dabei nichts zu beschönigen. Die Situation war für diesen Bewerber nicht anders wie für Millionen junger Deutscher, die in den 30er Jahren in einem Alter, in dem die jugendliche Begeisterungsfähigkeit die kritischen Anlagen des Einzelnen leicht überspült, nicht zur Mitarbeit an einer lebendigen Demokratie aufgerufen wurden, sondern in den Sog der extremen Parteien gerieten. Gmelin war Führer eines SA-Studentensturms und einer SA-Sportmannschaft.“[49]

Vor dem zweiten Wahlgang meldete er sich in einer Stellungnahme zu Wort, die einer Wochenendausgabe des „Schwäbischen Tagblatt“ beilag[50]  und vielleicht auch als Handzettel verbreitet wurde. Teile der Bevölkerung stellten sich laut Gmelin seiner Kandidatur „aus der ernstlichen Sorge heraus“ entgegen, „der Nationalsozialismus, der über die ganze Welt so schweres Leid gebracht hat, könnte mit meiner Wahl erneut aufs Rathaus einziehen (…).“[51] Er habe bei der Kandidatenvorstellung seine „politische Entwicklung offen erörtert“. Und weiter:

Ich habe mich auch rückhaltlos zu dem politischen Irrtum bekannt, dem ich, wie die meisten meiner Mitbürger – zum Unglück unseres Vaterlandes – verfallen war. Ein Bekenntnis zu Fehlern und Irrtümern ist keine Schande. Daß ich persönlich Unrecht getan habe, wirft mir niemand vor und kann mir auch niemand vorwerfen.“[52]

Kaum war Gmelin gewählt, meldete sich in der Leserbriefspalte des „Schwäbischen Tagblatt“ der evangelische Theologieprofessor Gerhard Ebeling zu Wort – und löste eine hitzige Leserbriefdebatte aus, die die Redaktion Anfang November beendete. Ebeling machte sich – ausweislich der anschließend gegen ihn gerichteten zahlreichen Leserbriefe – in Tübingen viele Feinde, indem er konstatierte, die Tübingern Bürgerschaft habe einen Kandidaten gewählt, „dessen frühere Rolle als nationalsozialistischer Funktionär allgemein bekannt war. Sie hat damit den Beweis erbracht, dass für sie Bedenken in dieser Hinsicht zumindest nicht maßgebend sind, wenn nicht gar für einen erheblichen Teil der Wähler solche Vergangenheit eine Empfehlung bedeutet.“[53]

Dass Gmelin aktiver und engagierter Parteigänger der Nazis war, war bekannt. Aber unter den zahlreichen Leserbriefschreibern gab es nur einen, der erkennen ließ, dass ihm das eigentliche Problem in Gmelins Biographie bekannt war – der renommierte Wissenschaftsverleger Hans Georg Siebeck:

„Wer in den Jahren nach 1933 in die Partei eintrat – sei es aus Überzeugung, falsch verstandener Vaterlandsliebe oder auch nur aus menschlich wohl verständlichen Konjunkturrücksichten – ahnte in den meisten Fällen nicht, welch teuflischem System er sich da verschrieben hatte. Dieses Wissen war den verhältnismäßig wenigen an exponierter Stelle stehenden Führern vorbehalten. Herr Gmelin wird kaum behaupten können, daß ihm seine Tätigkeit in der Slowakei nicht Einblick in Dinge gewährt hätte, die heute jeden anständigen Deutschen mit Schauder und Scham erfüllen.“[54]

Ein weiterer Aspekt in Ebelings Leserbrief verdient gesonderte Beachtung: „Es ließen sich auch über die soziologische Schichtung der für Gmelin stimmenden Kreise beachtliche Feststellungen treffen, u.a. daß die Angehörigen der Universität sich offenbar überwiegend gegen ihn erklärten,“ schrieb er. Heute kann das Wahlergebnis natürlich nicht mehr soziologisch analysiert, aber immerhin noch nach Stadtteilen differenziert betrachtet werden. Die höchsten Stimmenanteile hatte Gmelin in Lustnau, in der Gartenstadt (früher: Horst-Wessel-Siedlung) und im Bereich Galgenberg/Wennfelder Garten, die niedrigsten hingegen in den Stimmbezirken Universität, Eberhardshöhe, Österberg und Denzenberg, also dort, wo man eher die wohlhabenderen Teile der Wählerschaft und Akademiker vermuten darf.[55] Die Gründe für dieses Resultat müssen aber ungeklärt bleiben – war es die Nazi-Vergangenheit Gmelins, die den Ausschlag gab, war es Unzufriedenheit mit der Kommunalpolitik des Amtsinhabers Mülberger, oder zogen soziale Versprechungen Gmelins[56]? Schließlich gab es auch noch Gerüchte über Verfehlungen Mülbergers im Rathaus.[57]

In einer parlamentarischen Demokratie ist üblich, dass bei einem Regierungswechsel ein neuer Minister die Führungsebene seines Ministeriums mit Personen seines Vertrauens und seines Parteibuchs besetzt. Bei einem Bürgermeisterwechsel ist es meistens analog – mit dem Unterschied, dass die Besetzung der führenden Posten im Rathaus dem Gemeinderat obliegt, in dem der (Ober-)Bürgermeister „seinen“ Kandidaten erst eine Mehrheit verschaffen muss. Im Falle des nach 1945 parteilosen Gmelin ist nun auffällig, dass die Riege seiner Beigeordneten ausnahmslos Männer waren, die, wie er selbst, bereits während des Faschismus Karriere gemacht hatten und durchaus als „alte Nazis“ bezeichnet werden können. Darum nun ein Blick auf die Personalpolitik Gmelins.

Gmelins Personalpolitik im Rathaus

Gleich zu Beginn der Amtszeit Gmelins als Oberbürgermeister 1955 war die Stelle des Stadtdirektors neu zu besetzen, da der Amtsinhaber Asmuss ausschied. Der Gemeinderat wählte den Juristen Helmut Weihenmaier, der dann ein Jahr später Erster Beigeordneter (Erster stellvertretender Bürgermeister) wurde.

Weihenmaier besaß kommunalpolitische und Verwaltungserfahrung: Von 1936 bis 1939 arbeitete er nacheinander als Regierungsrat am Landratsamt Urach, als stellvertretender Landrat in Reutlingen und als Amtsverweser in den Landratsämtern Crailsheim und Esslingen. Während des Krieges war er von 1939 bis 1944 „Kreishauptmann“ (Landrat) in Zamość und 1944/45 stellvertretender Landrat in Saarlouis. Im März und April 1945 arbeitete er am Landratsamt Reutlingen und wurde im Mai 1945 interniert. Ab 1948 arbeitete er im Wirtschaftsministerium Württemberg-Hohenzollern, zunächst als Angestellter, ab 1949 als Oberregierungsrat. Nach Auflösung des Landes wechselte er in die entsprechende Abteilung des Regierungspräsidiums Nordwürttemberg und 1954 zum baden-württembergischen Wirtschaftsministerium,danach kam er zum Regierungspräsidium Stuttgart als Leiter der Wirtschaftsabteilung. Kurz vor seiner Wahl in Tübingen wurde er zum Regierungsdirektor ernannt.[58]

Besondere Betrachtung verdient seine Tätigkeit als „Kreishauptmann“ in Zamość im Distrikt Lublin im damals so genannten Generalgouvernement. Unter diesem Begriff wurden die Teile Polens zusammengefasst, die unter deutscher Besatzungsverwaltung standen und nicht zur Annektion durch das Deutsche Reich vorgesehen waren. Zamość nahm insofern eine Sonderstellung ein, als dort exemplarisch versucht wurde, die von Heinrich Himmler als „Reichskommisar für die Festigung des deutschen Volkstums“ geplante Germanisierungspolitik umzusetzen. Die als nicht „eindeutschungsfähig“ eingestuften Teile der ortsansässigen Bevölkerung wurden vertrieben, zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschafft oder nach Auschwitz deportiert. Der jüdische Teil der Bevölkerung wurde in Ghettos zusammengefasst und später in Vernichtungslager transportiert und dort ermordet.[59] Allerdings wurde das Germanisierungsprojekt bald wieder eingestellt, da ein großer Teil der vertriebenen Bevölkerung zu den Partisanen überging, die Überfälle auf deutsche Siedler sich häuften und die landwirtschaftliche Produktion stark zurückging.[60]

Welches war nun dabei die Rolle des Kreishauptmanns Weihenmaier[61]? Er war der Vertreter des Besatzungsapparats vor Ort. Zwar waren sowohl für die Ansiedlung der („Volks“-)Deutschen als auch für die Deportation und Ermordung der ortsansässigen Juden eigentlich andere Instanzen zuständig, aber im April 1941 ließ Weihenmaier 8.000 Juden aus Zamość in ein nahegelegenes Ghetto „umsiedeln“.[62] Als 1942 die Massentötungen von Juden im Generalgouvernement begannen, wusste Weihenmaier nicht nur davon; er war auch direkt an der „Aussiedlung“ von Juden beteiligt.[63] Im Kreis Zamość befand sich zudem das Vernichtungslager Belzec. Das war in der Kreisverwaltung bekannt. In einer Vernehmung behauptete Weihenmaier zwar, er habe das Vernichtungslager erst besucht, nachdem der „Betrieb“ dort eingestellt gewesen worden sei. Aber die Neugier der (deutschen) Verwaltungsangestellten war so groß, dass Weihenmaier „Ausflüge“ nach Belzec verbot.[64] Und er bereicherte sich offenbar auch: Kurz vor der Räumung des Ghettos erhielt er jedenfalls „Zuwendungen“ vom örtlichen Judenrat.[65] Nach dem Kriege wurde gegen Weihenmaier ermittelt. Als er in den 60-er Jahren Landrat in Freudenstadt war, „bat er die Vernehmungsbeamten aus Sorge vor Gerede im Landratsamt, ihn zu weiteren Vernehmungen nicht mehr in seiner Behörde aufzusuchen.[66] Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen ihn wurde 1974 eingestellt.[67] Weihenmaier war übrigens nicht der einzige ehemalige Kreishauptmann aus dem Generalgouvernement, der nach dem Kriege in Tübingen lebte.[68]

Bereits 1960 musste der Tübinger Gemeinderat die Stelle des Ersten Beigeordneten neu besetzen, da Weihenmaier zum Landrat von Freudenstadt gewählt worden war. Verabschiedet wurde er in Tübingen mit der Verleihung der neu gestifteten Bürgermedaille.[69] Zum neuen Stellvertreter Gmelins wurde Eberhard Doege gewählt. Auch er hatte seine Berufslaufbahn als Jurist im „Dritten Reich“ begonnen. Dem Tübinger Gemeinderat war bei seiner Bewerbung nur bekannt, dass er seit 1938 für das Reichsinnenministerium arbeitete, allerdings „abgeordnet z. Amt f. Gnadensachen, Ref. Beamtendienststrafsachen“[70]. Welchem Gemeinderat wird wohl bekannt gewesen sein, dass das „Amt für Gnadensachen“ zur „Kanzlei des Führers“ gehörte?[71] Im September 1943 wurde er zum kommissarischen Landrat für den Kreis Mogilno im Kreis Hohensalza ernannt. Eigenen Angaben zufolge hat er dieses Amt, da bereits zum Kriegsdienst eingezogen, aber insgesamt nur wenige Wochen während eines Urlaubs ausgeübt.[72] Doege war 1953 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und engagierte sich nach seiner Rückkehr im Verband der Heimkehrer. Seit 1955 war Doege stellvertretender Landrat von Freudenstadt und konnte wegen eines „Kronprinzenerlaß“ nicht selbst dort Landrat werden, als die Stelle 1960 frei wurde[73]. Kurz: Doege wechselte nach Tübingen, Weihenmaier nach Freudenstadt.

Ebenfalls bald nach Gmelins Wahl, nämlich 1956, war die Stelle des Oberbaurats neu zu besetzen. Der Gemeinderat wählte Richard Jäger. Er wurde 1960 Baubürgermeister und Zweiter Beigeordneter, übte dieses Amt bis 1977 aus und trat als letzter der Troika in den Ruhestand, nach Doege 1974 und Gmelin Anfang 1975. Auch Jägers Karriere hatte im „Dritten Reich“ begonnen: Eigenen Angaben zufolge[74] war er ab 1937 Leiter der Hauptgeschäftsstelle Saarbrücken der Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz bei der Regierung in Saarbrücken, ab 1938 stellvertretender Landesplaner für die Saarpfalz und außerdem ab 1940 Planungsreferent des Wiederaufbauamtes Saarpfalz bei der Regierung in Saarbrücken. Seine dortige Tätigkeit ist noch nicht erforscht, aber wir wissen immerhin, worum es bei der Landesplanung in der Saarpfalz ging, nämlich um das „Planungsziel ideales nationalsozialistisches Dorf: modern, maschinen- und parteigerecht“[75]: „Die Dörfer sollten sich den Anforderungen des zukünftigen Straßenverkehrs, dem geplanten verstärkten Einsatz von Landmaschinen und dem Platzbedarf des Militärs anpassen, deshalb waren eng bebaute Dorfkerne nicht erwünscht.“[76] Dementsprechend sollten Altbauten abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Auch war geplant, was später in der BRD Flurbereinigung genannt wurde. Wegen des Krieges wurden die Planungen aber nur partiell umgesetzt.[77] Jäger selbst leistete von August 1939 bis September 1940 und dann wieder ab November 1941 Kriegsdienst.[78] 1945 war er aber schon wieder Referent für Landesplanung und Wiederaufbau beim Oberregierungspräsidium Hessen-Pfalz in Neustadt/Weinstraße.[79] Später arbeitete er freiberuflich in Stuttgart.[80]

Vom autogerechten NS-Dorf zur autogerechten Nachkriegsstadt – so ließe sich der Karriereweg Jägers zusammenfassen. Generalbebauungsplan, Generalverkehrsplan, zuletzt dann der Beginn der Altstadtsanierung: War seine Tätigkeit bis in die 70-er Jahre stadtbildprägend, war er später zunehmend umstritten. Den Abriss des Schwabenhauses konnte er nicht durchsetzen[81], und sein letztes Projekt, eine Nordtangente, scheiterte 1979 spektakulär bei einem Bürgerentscheid.[82] Einer der schärfsten Kritiker Jägers und seiner Verkehrsplanung war der ehemalige Landeskonservator Adolf Rieth: „Herr Jäger wollte nichts Geringeres als eine Schneise vom Lustnauer Tor aus bis zur Krummen Brücke schlagen (…). Das Konvikt [Wilhelmstift] hätte man (…) eben verlegen müssen. Jägers ‚Querspange‘ hätte den ‚Anfang für eine endgültige Ruinierung des Altstadtbildes‘ bedeutet. (…) Seit dieser Zeit sind die Beziehungen zwischen Stadtverwaltung und Denkmalpflege gestört.“[83]

Nicht nur die Stadt, auch das Rathaus wurde unter Jäger stark verändert; man denke an die Betonarkaden, aber nicht nur an sie: „Als die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Städte wieder aufbauten, waren sie besessen von Treppen. Gewendelt oder als kubistische Skulptur, in Lichtfluten badend, wurden sie zum Signet der Auferstehung. Zu einem doppelbödigen – denn hinter dem offiziellen Bekenntnis zur Moderne und Demokratie standen verschwiegene Schuldgefühle und unterbewusste Erlösungshoffnung.“[84] Was ein bedeutender Architekturhistoriker und -kritiker, zudem Verfasser eines Werkes über NS-Architektur,[85] jüngst über die Paulskirche schrieb, mag auch für die vergleichsweise phantasielose – und heute auch unter Brandschutzgesichtspunkten als höchst problematisch betrachtete – Treppe im Tübinger Rathaus gelten.

Ein viertes und letztes Beispiel mag das hier gezeichnete Bild der Personalpolitik im Tübinger Rathaus während der Ära Gmelin abrunden. Im Oktober 1957 ging dort ein Brief an den „sehr geehrte(n) Herr(n) Oberbürgermeister“ ein: „Ich erlaube mir hiermit, mich um die freigewordene Stelle des leider verschiedenen Herrn G. [Fahrer des Oberbürgermeisters] zu bewerben. Meine Bewerbung begründe ich wie folgt: Wohnhaft in Tübingen (…) in wohlgeordneten Familien- und Finanzverhältnissen, von Beruf gelernter Kraftfahrzeugmechaniker, seit 30 Jahren als Kraftfahrer tätig. Meine Tätigkeit erstreckte sich über 10 Jahre als Omnibusfahrer der Stadt Pressburg; von 1940-45 als Cheffahrer an der Deutschen Gesandtschaft in Pressburg, worauf ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit besonders lenken möchte, da Sie, Herr Oberbürgermeister, in Ihrer Eigenschaft als Gesandtschaftsrat bei der Deutschen Gesandtschaft in Pressburg, meine absolute Zuverlässigkeit kennenlernten. Nach der Ausweisung 1945 kam ich nach hier, wo ich seit 1946 bis zum heutigen Tage bei der Spedition Riethmüller [Schwager Gmelins, s.o.] zuerst als Fahrer, in späterer Zeit als Lagermeister tätig bin. (…)“ Franz O. erhielt die Stelle. Und 1965 regte Gmelin beim Personalamt an, O. für eine tarifliche Höhereinstufung vorzumerken. Er sei nicht nur „Fahrer und Pfleger zweier Dienstfahrzeuge“, sondern übe „darüber hinaus Vertrauensfunktionen für mich persönlich und für das Bürgermeisteramt“[86] aus. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass Gmelin etwa beunruhigt oder unangenehm berührt gewesen sei, einem Untergebenen aus den Tagen in Bratislava zu begegnen. Und da die Einstellung von Franz O. nicht dem Gemeinderat oblag, konnte Gmelin direkt oder über Anweisung an Untergebene hierüber entscheiden – wie die Entscheidung genau ablief, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren.

Insbesondere bei der Wahl der drei Bürgermeister Weihenmaier, Doege und Jäger stellt sich die Frage, ob Gmelin sie wegen ihrer Nazivergangenheit anderen, vielleicht qualifizierteren Mitbewerbern vorzog. Bei der Prüfung dieser Frage ist zunächst zu beachten, dass ein Bürgermeister (auch ein Oberbaurat) nicht vom Oberbürgermeister, sondern vom Gemeinderat gewählt wird. Allerdings hat der Oberbürgermeister „bestimmenden Anteil“[87] an dessen Entscheidungen: „Wer je einmal Sitzungen vorbereitet und geleitet hat, weiß, dass die Aufstellung einer Tagesordnung und die Leitung einer Sitzung Steuerungs-, wenn nicht gar Manipulationsmöglichkeiten bietet.“[88] Und wer je einmal ein Gemeinderatsprotokoll eingesehen hat, weiß, dass sich dort praktisch nie die Beweggründe für eine Personalentscheidung nachlesen lassen. Die vorbereitenden vertraulichen Gespräche im kleinen Kreise finden gewöhnlich keinen Eingang in eine Akte, weder damals noch heute. Inwieweit lassen sich also die damaligen Entscheidungsprozesse noch rekonstruieren?

Als Anfang 1955 der damalige Stadtdirektor Asmuss ausschied und seine Stelle neu besetzt werden musste, war eine Gemeindeordnung für Baden-Württemberg gerade in Bearbeitung. Es war nicht klar, ob die neue Gemeindeordnung eine solche Stelle überhaupt noch vorsehen würde. Die in Tübingen dahin anzuwendende Gemeindeordnung für Württemberg-Hohenzollern sah einerseits einen beamteten Gemeindeamtmann (Stadtdirektor) vor, der dem Bürgermeister „für den ordnungsgemäßen Gang der Gemeindeverwaltung (…) verantwortlich“[89] war, und andererseits (mindestens) einen ehrenamtlichen Beigeordneten als Stellvertreter des (Ober-)Bürgermeisters, den der Gemeinderat „aus seiner Mitte“[90] wählte. Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg vom 25. Juli 1955 sah die Stelle eines Gemeindeamtmanns nicht mehr vor; übergangsweise sollte er jedoch bis zum Ablauf seiner Amtszeit im Amt bleiben.[91] Und der Erste Beigeordnete sollte nun ein hauptamtlicher Beamter auf Zeit sein.[92]

In Vorahnung der neuen gesetzlichen Regelung stellte Bewerber Weihenmaier klar, dass er lieber später zum hauptamtlichen Ersten Beigeordneten gewählt werden würde.[93] Andere Bewerber, mit denen zu verhandeln Gmelin vom Gemeinderat sich hatte ermächtigen lassen, zogen teilweise ihre Bewerbung zurück.[94] Schließlich beschloss der Gemeinderat, allen Kandidaten abzusagen und die Wahl des Stadtdirektors bis zur Verabschiedung der neuen Gemeindeordnung zurückzustellen.[95] In der Sitzung vom 10. Oktober 1955 – die neue Gemeindeordnung war inzwischen verabschiedet, aber noch nicht in Kraft getreten – war dann plötzlich nur noch von Weihenmaier die Rede. Gmelin liess sich ermächtigen, mit ihm in Verhandlungen über die Stelle des Stadtdirektors einzutreten, und der Gemeinderat beschloss, im Falle seiner Wahl auf eine Probezeit zu verzichten, ihm gleich die höchste mögliche Besoldungsstufe zuzubilligen und ihm die Wahl zum Bürgermeister zum 1.April 1956 in Aussicht zustellen.[96] Am 24. Oktober 1955 wurde Weihenmaier vom Gemeinderat einstimmig gewählt, nachdem zuvor der ehrenamtliche Erste Beigeordnete Otto Erbe angekündigt hatte, sein Amt altershalber im Frühjahr 1956 aufzugeben.[97] Eine kontroverse und lange Debatte hatte es um Weihenmaier in der Sitzung nicht gegeben; die war zuvor um die Auflösung des Tiergartens geführt worden.[98] Erbe schied tatsächlich aus, und am 2. Juli 1956 entließ der Gemeinderat Weihenmaier aus dem Amt des Stadtdirektors und wählte ihn einmütig zum hauptamtlichen Ersten Beigeordneten (Amtsbezeichnung: Bürgermeister).[99] Das Personalamt der Stadt hatte die Stellenausschreibung so formuliert, dass keine weiteren Bewerbungen um die neu geschaffene Stelle eingegangen waren.[100]

Anders war die Konstellation bei der Wahl Doeges 1960: Es lagen elf Bewerbungen vor.[101] Sieben vom Ältestenrat ausgewählte Bewerber stellten sich am 6. Juli 1960 dem Gemeinderat vor.[102] Doege scheint Eindruck gemacht und den richtigen Ton getroffen zu haben zu haben. Vielleicht lagen einzelnen Gemeinderäten auch Informationen über seine fünfjährige Tätigkeit als stellvertretender Landrat in Freudenstadt vor. Der Ältestenrat wählte für die Vorwahl am 25. Juli 1960 fünf Kandidaten aus den Bewerbern aus. Einer, Gemeinderat Gerhard Weng, zog jedoch seine Bewerbung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit (!) zurück. Doege erhielt 25 Stimmen, der nächstfolgende 16. Damit ging Doege als Favorit in die Wahl.[103] Bei der sich an die Vorwahl anschließenden eigentlichen Wahl errang Doege 22 Stimmen, die beiden verbliebenen Mitbewerber zusammen sieben.[104]

Was gab nun für Doege den Ausschlag? War es seine gelungene Präsentation vor dem Gemeinderat? War es seine kommunalpolitische Erfahrung aus Freudenstadt? Hatte Gmelin hinter den Kulissen angedeutet, dass er ihn favorisiere? Fast alle Bewerber waren jedenfalls so jung, dass sie erst nach dem Kriege ihr Assessorexamen gemacht hatten, während Doege (geb. 1910) zur selben Altersgruppe gehörte wie Gmelin (geb. 1911), Weihenmaier (geb. 1905) und Jäger (geb. 1912). Und die drei erstgenannten hatten denselben „Stallgeruch“: Sie waren Verbindungsstudenten gewesen: Gmelin in der Burschenschaft „Normannia“ in Tübingen[105] (genau wie sein jüngerer Bruder Ulrich Gmelin[106], der spätere „Vertreter des Reichsstudentenführers im Kriege“[107], und ihr Vater[108]). Weihenmaier war ebenfalls „Normanne“[109], und Doege bekannte sich in seiner Vorstellung vor dem Gemeinderat dazu, engagiertes Mitglied einer Verbindung zu sein, die der „Deutschen Burschenschaft“ (rechtsgerichteter Dachverband) angehört.[110]

Ob auch Jäger einer Verbindung angehörte, konnte nicht ermittelt werden. Bei seiner Wahl gaben offenbar zwei Gesichtspunkte den Ausschlag: Sein Hauptkonkurrent, Oberbaurat Eberhard Haller aus Lindau, wurde, nachdem ihn eine Gemeinderatskommission besucht hatte, als „konservativ“ geschildert, was aber auch damit zusammenhänge, dass die Rathausspitze den alten Lindauer Stadtkern zu erhalten trachte (Weihenmaier).[111] Stadtrat Frauendiener (CDU) berichtete, die modernisierungsfeindliche Haltung Hallers, wonach „das Alte möglichst so erhalten werden sollte, wie es gewesen sei“, habe Mißstimmung in der Bürgerschaft Lindaus hervorgerufen.[112] Und Jäger scheint als Person mehr Eindruck gemacht zu haben: Man habe „sofort den Eindruck gewonnen,“ meinte Stadtrat Lang (SPD), „daß Oberbaurat Jäger über der Sache stehe. Seine Ausführungen habe er nur so aus der Hand geschüttelt.“ Zudem besäße er auch Verwaltungserfahrung.[113] Laut Stadtrat Kentner („Junge Stadt“) „imponiere [er] durch sein überdurchschnittliches Format.“[114] Trotzdem lag beim ersten Wahlgang – es standen inzwischen nur noch Haller und Jäger zur Wahl – Haller ganz knapp vor Jäger (12 gegen 11 Stimmen bei einer Enthaltung). Da im ersten Wahlgang beide Bewerber die erforderliche absolute Mehrheit verfehlten, wurde ein zweiter Wahlgang durchgeführt, in dem die einfache Mehrheit ausreichte. Bevor man zum zweiten Wahlgang schritt, liess Gmelin allerdings die Sitzung unterbrechen, damit die Fraktionen sich noch eimmal beraten konnten. Was in der Sitzungspause passierte, ist nicht überliefert. Aber nach der Pause stimmten 13 Gemeinderäte für Jäger und 11 für Haller. Hatten vielleicht Gmelin und Weihenmaier „unsichere Kantonisten“ bearbeitet?

Die auffällige Häufung ehemaliger Amtsträger des „Dritten Reiches“ an der Spitze des Tübinger Rathauses in der Ära Gmelin sorgte offenbar nicht für Diskussionen in der Stadt. Und aus den Gemeinderatsprotokollen ergibt sich nicht, dass irgendein Gemeinderat während der Personaldebatten Näheres über die Tätigkeit der Bewerber während des Faschismus in Erfahrung bringen wollte. Niemand fragte nach.

Wurde Gmelin Demokrat?

 

Und Gmelin selbst? Hatte er sich zum Demokraten gewandelt? Aus seiner persönlichen Freundschaft mit Ludin hat nie ein Hehl gemacht, nicht einmal in Nürnberg. Auf die Frage eines Verteidigers des Angeklagten Berger nach seinem Verhältnis zu Ludin („… war es ein enges, oder war es ein formelles und distanziertes?“), antwortete Gmelin:

Ich war Gesandtschaftsrat in der Gesandtschaft, und zwar zunächst der dritte und dann der zweite Gesandtschaftsrat. Ich war lange Zeit der persönliche Referent des Gesandten, und über das dienstliche Verhältnis hinaus waren wir engstens persönlich befreundet.[115]

Nach Ludins Tod kümmerte sich Gmelin um Ludins Witwe und Kinder. Die zogen 1952 nach Tübingen. Gmelin war bei der Suche nach einem Haus behilflich.[116] Als Erla Ludin 1964 – vergeblich – versuchte, sich vor Gericht eine Pension als Diplomatenwitwe zu erstreiten, trat Gmelin für sie als Zeuge auf. Auch der rechte Publizist Venohr war ihr Fürsprecher.[117]

Privat pflegte er Umgang auch mit alten Nazis und ehemaligen Kollegen aus Bratislava wie Hans Snyckers[118]. So berichtet Alexandra Senfft, wie bei einem Besuch ihrer Mutter, einer Tochter Ludins, bei den Gmelins 1950 in Tübingen plötzlich Gerhard Kreuzwendedich Todenhöfer auftauchte.[119] Der war einst stellvertretender Leiter der Abteilung D III für „Judenangelegenheiten“ im Auswärtigen Amt gewesen[120] und offenbar ein Freund Gmelins.

Zu den alten Freunden Gmelins seit den frühen 30er Jahren gehörte der von einem US-amerikanischen Gericht als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte und später begnadigte Eugen Steimle.[121] Sicherlich hatten sie sich in der Burschenschaft „Normannia“ kennengelernt, der beide angehörten – Steimle wohnte seit dem Sommersemester 1930 in dem Haus der Verbindung,[122] dem Semester, in dem Gmelin, der bei seinen Eltern in der Südstadt wohnte, sein Studium in Tübingen aufnahm.[123] Im Wintersemester 1929/30 war Steimle als neuer „Fux“ in die „Normannia“ aufgenommen worden;[124] ein Semester später war Gmelin dann „Fux“ und Steimle „Jungbursche“.[125] Auf dem Höhepunkt ihrer „Karriere“ in der „Normannia“ waren im Wintersemester 1932/33 Gmelin „Fuxmajor“[126] und Steimle „Goldfux“[127]. Beiläufig sei an dieser Stelle erwähnt, dass Gmelins Bruder Ulrich im Sommersemester 1932 „Kneippräsident“ war, während Steimle als „Senior“ fungierte.[128] Und Weihenmaier war im Sommersemester 1928 und im Wintersemester 1928/29 „Goldfux“ gewesen.[129] Als die Herren studierten, waren fast alle höheren Beamten der württembergischen Innenverwaltung „alte Herren“ einer Tübinger Verbindung mit württembergischer Tradition.[130] Zwei nichtschlagende Burschenschaften, darunter die „Normannia“, waren darunter überproportional vertreten.[131] Der Berufsweg der beiden „Normannen“ schien also vorgezeichnet, bei dem Jurastudenten Gmelin noch mehr als bei dem stud. phil. Steimle, der wohl auf das Lehramt zusteuerte. Nach dem Kriege lebten  Steimles Frau und Schwiegermutter in Tübingen. Dorthin ging auch Steimle nach seiner Freilassung aus der US-Haft 1954. Bald darauf erhielt er eine Stelle als Lehrer an einem evangelischen Internat in Wilhlemsdorf (Oberschwaben). Von dort wandte er sich 1957 in einer Wohnungsangelegenheit seiner Schwiegermutter brieflich an Oberbürgermeister Gmelin. Anrede: „Lieber Hansi!“[132]

An der Stiftskirchenmauer am Tübinger Holzmarkt hing über ein halbes Jahrhundert lang die „Heimkehrertafel“, auf der derjenigen gedacht wurde, die sich zum Zeitpunkt ihrer Anbringung noch in alliierter, namentlich sowjetischer Kriegsgefangenschaft befanden.[133] Erst spät entdeckten die Nachgeborenen, dass sich unter den vermeintlichen und tatsächlichen Kriegsgefangenen auch rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher befanden, die in einem Gefängnis ihre Haftstrafe verbüßt hatten. Während die Entdeckung des ehemaligen deutschen Botschafters in Paris, Otto Abetz,[134] noch ohne Reaktion blieb, führte die Entdeckung Steimles auf der Tafel 2003[135] zur ihrer Entfernung. Jeder auf der Tafel Verzeichnete wurde bei seiner „Heimkehr“ feierlich in Tübingen begrüßt, und in einer Feierstunde wurde sein Name auf der Tafel durchgestrichen.[136] Bei Gmelins Amtantritt waren die meisten Namen schon gestrichen. Aber als ein gewisser Ludwig Griesinger am 16. Juni 1955 in Tübingen empfangen wurde, hielt Gmelin eine Ansprache: „Er wies dabei besonders darauf hin, daß an diesem Tage [Er meinte wohl den 17. Juni. Anm. d. Verf.] überall der Deutschen gedacht werde, die um ihres Deutschtums willen leiden mußten,“, berichtete anderntags die Lokalzeitung.[137] Ein weiterer Redner war Polizeirat a.D. Bücheler, Griesinger früherer Chef in Tübingen.[138]

Aber auch Griesinger war kein „normaler“ Kriegsgefangener: Seit 1920 bei der Tübinger Schutzpolizei, war er 1933 zur hiesigen Kriminalpolizei und 1938 als Kriminalkommissar zur Staatspolizei-Außendienststelle Tübingen gewechselt. Ab 1939 war er Dienststellenleiter der Außenstelle der Gestapo in Eger (damals Sudentenland, heute Cheb, Tschechische Republik). Er wurde an die ČSR ausgeliefert, wo er zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt wurde. 1955 wurde er begnadigt.[139] War das Auslieferungsersuchen der tschechoslowakischen Behörden an die US-amerikanischen vom 15. August 1946 hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Verbrechen noch relativ allgemein gehalten („As head of Gestapo at CHEB, Czechoslovakia, he is responsible for imprisonment, torture and death of many Czechs.“[140]), kamen dann in der Verhandlung vor Gericht viele einzelne Fälle zur Sprache: Mal erscheint Griesinger als gnädiger, dann wieder als gewalttätiger Provinzmachthaber, der auch KZ-Einweisungen veranlasste.[141] Für „jüdische Fragen“ („židovské otázky“) war er allerdings nicht zuständig; sie fielen in die Kompetenz einer Stelle in Karlový Varý.[142]

Als 1958 der Repetent des Evangelischen Stifts kritisierte, aus Anlass des 20: Jahrestags der Vernichtung der Tübinger Synagoge durch Brandstiftung hätte die Stadtverwaltung eine Gedenkfeier an deren früherem Standort durchführen sollen, kam es zu Diskussionen im Gemeinderat, in deren Verlauf Gmelin erklärte, „daß es nicht Aufgabe einer Stadtverwaltung sei, bildende und erziehende Feierstunden für die Bevölkerung abzuhalten.“[143] Vielleicht bezog sich Lilli Zapf, die Verfasserin der ersten Geschichte der Tübinger Juden[144], auch auf diesen Vorgang, als sie 1965 in einem Brief an Georg Weil (früher Tübingen) schrieb: „An den hiesigen Oberbürgermeister dagegen habe ich mich nicht gewandt. Ich will auch nicht, daß er sich irgendwie mit meiner Arbeit befaßt. Wie Sie vielleicht wissen, war er Adjutant von Ludin an der deutschen Botschaft in Preßburg/Tschechoslowakei. Es ist überhaupt unbegreiflich, wie dieser Mann in Tübingen als OB gewählt werden konnte.“[145]

Überlieferte Äußerungen von Gmelin über seine Tätigkeit in Bratislava sind rar. Er äußerte sich, wie wir oben sahen, ohne Reue gegenüber Venohr, bei dessen Buch über den slowakischen Nationalaufstand „es sich (…) um eine Rechtfertigungsschrift für die deutsche Wehrmacht handelt.“[146] Bei öffentlichen Anlässen äußerte sich Gmelin, wie sich aus überlieferten Redemanuskripten ergibt[147], im Rahmen des jeweiligen restaurativen beziehungsweise  konservativen Mainstream, etwa bei Ansprachen zum Volkstrauertag. So findet sich unter seinen Reden eine Musterrede aus der „Praxis der Gemeindeverwaltung“, 26. Fortsetzungslieferung Juli-Sepetember 1956.[148] Beim Volkstrauertag 1955 sagte Gmelin u.a.: „Es ist sicher ein Zeichen langsamer Gesundung unseres Volkskörpers, dass wir uns heute in so großer Zahl um dieses schlichte Ehrenmal versammeln.“ Und endete mit den Worten: „Unsere Toten rufen uns zu (…), vor allem die Opfer der Unterdrückung rufen: Vergesst die Freiheit nicht, für sie sind wir gestorben…“[149] Waren also 1955 die Soldaten von Hitlers Wehrmacht noch für die Freiheit gefallenen, gedachte Gmelin 1972 immerhin auch KZ-Opfern in seiner Rede und erwähnte sogar „die Nachrichten von Vietnam“. Und weiter über „unsere“ Toten: „Für sie war der Krieg und ihr Opferschicksal höhere übermächtige Gewalt! Sie haben ihr junges Leben gewiß nicht gerne hingegeben. Sie hätten gewiß gerne dieses Opfer nicht gebracht. (…) Der Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln…“[150]

Seit 1964 war Gmelin Vorsitzender des „Kameradenhilfswerk der 78. Infanterie- und Sturmdivision“[151] und bis zu seinem Tode dessen Ehrenvorsitzender.[152] 1959 weihte er das Denkmal für die Gefallenen und Vermissten der Division auf der Neckarinsel ein[153], und bei vielen Anlässen hielt er Ansprachen vor den Veteranen „seiner“ Division. Eine Diskussion gab es in Tübingen, als „Notizen“, die Zeitschrift des AStA, im April 1969 berichtete, bei einem Kameradschaftsabend sei am 7. September 1968 von Veteranen der Division die Nazi-Hymne „Die Fahne hoch“ gesungen worden – in Anwesenheit Gmelins. Der dementierte umgehend.[154]

Gmelin und das Singen nationaler Lieder: In seiner Ausgabe vom 19.Mai 1958 kritisierte das „Schwäbische Tagblatt“, dass Gmelin vorgeschlagen habe, am „Tag der deutschen Einheit“ alle drei Strophen des Deutschlandlieds zu singen, obwohl nur die dritte Strophe zur Nationalhymne bestimmt ist – und dass der Vorschlag einstimmig angenommen worden sei. Daraufhin bot der einst stramm nationalsozialistische Tübinger Philosoph Theodor Haering brieflich Gmelin seine Unterstützung an.[155] Ein halbes Jahr vorher war Haering Tübinger Ehrenbürger geworden.[156]

Ansonsten löste jedoch fast keiner der öffentlichen Auftritte Gmelins Diskussionen aus. Anders in seiner eigenen Familie: „Seine Tochter Herta[157] (…), Bundestagsabgeordnete und ehemalige Justizministerin, sagt, sie und ihr Bruder Wilhelm hätten sich mit ihrem Vater über die NS-Zeit oft heftig gestritten. Der ‚Judenberater‘ Wisliceny sei bei ihnen und Ludins doch ein- und ausgegangen, ihr Vater müsse doch verstanden haben, wohin die deportierten Juden kamen und was mit ihnen geschah! Ihr Vater habe das in den frühen Jahren abgestritten und gesagt, man habe das für die übliche Gräuelpropaganda gehalten. ‚Geschwätz‘ sei das gewesen, so Däubler-Gmelin. Erst gegenüber seinen Enkelkindern habe er offener sprechen können und sich im höheren Alter in einer Rede immerhin als Mitglied der Tätergeneration bezeichnet.“[158]

Öffentlich hat Gmelin weder Selbstkritik noch gar Reue gezeigt. Aber er hat sich nach dem Kriege auch nicht mehr öffentlich zu seinen früheren nationalsozialistischen Überzeugungen bekannt. Er amtierte als allseits respektierter Oberbürgermeister in der parlamentarischen Republik, so wie er vorher als Diplomat einem faschistischen System gedient hatte. Er fügte sich, wie so viele andere ehemalige Funktionsträger des Naziregimes[159] den „neuen politischen Konditionen“. „Denn für sie bestand angesichts der Integrationsangebote und der zum Teil lukrativen Posten kein Anlass mehr zum offenen Festhalten an der alten Ideologie.“[160] Ob Gmelins Anpassung an die neuen Verhältnisse nur oberflächlich blieb, ob sie aus Opportunismus erfolgte und ob vielleicht später Überzeugung hinzutrat, muss letztlich offen bleiben. Bezeichnend ist allerdings, dass seine Umgangsformen im Rathaus als autoritär beziehungsweise als patriarchalisch beschrieben wurden. So soll er den SPD-Stadtrat Professor Melchers angefahren haben, er solle doch erst einmal die Hände aus den Hosentaschen nehmen, bevor er mit ihm, Gmelin, spreche. Die frühere SPD-Stadträtin Gothild Braun erinnert sich an diesen Vorfall und schildert Gmelin als autoritär.[161] Am Ende seiner Amtszeit sprach ihn das „Schwäbische Tagblatt“ in einem Interview direkt auf seinen Führungsstil an, der als autoritär gelte, und fragte ihn dann: „Was ist für Sie Autorität?“. Die Antwort Gmelins:

Man kann als OB doch folgende Wege gehen: Man kann sagen, ich lasse ein bestimmtes Problem vorbereiten, ich lasse es durch meine Mitarbeiter vortragen und überlasse es dann dem Spiel der freien Kräfte in der Beratung mit dem Gemeinderat, was dabei herauskommt. So hat es im wesentlichen mein Amtsvorgänger gehalten. (…) Mein Stil ist das nicht. Und ich glaube auch nicht, daß die baden-württembergische Gemeindeordnung dieses Bild eines OB widerspiegelt, der unentschieden in eine Sitzung geht. Ich habe es von Anfang an immer so gehalten, daß ich in einer Vorbesprechung mit meinen Mitarbeitern Weg und Ziel besprochen habe und wie wir es erreichen wollten. Wobei ich übrigens durchaus abweichende innerhalb der Verwaltung im Gemeinderat vortrage. Aber ich versuche, mit einer koordinierten Auffassung der Verwaltung in die Sitzung zu gehen und diese Auffassung durchzusetzen. Wenn jemand das als autoritär oder undemokratisch ansieht, dann habe ich ein anderes Demokratieverständnis.[162]

Es wurde Gmelin leicht gemacht in Tübingen. Kritik gab es nur vereinzelt. Wie ernst man sie aber im Rathaus nahm, zeigt der Umstand, dass sich dort in Gmelins Personalakte (!) eine Kopie eines Flugblatts der „ROZ Rote Zelle Bosch“ von 1969 befindet, das Entlassungen durch Bosch und gleichzeitiges Spenden der Firma an einen „Demokratischen Club e.V. Tübingen“ anprangert: Dabei handele „es sich um einen Verein faschistischer Galgenvögel, wie Gmelin, Adjutant a.D. des hingerichteten Gauleiters von Bratislava, z.Zt. Oberbürgermeister von Tübingen, und Todenhöfer, ehem. hoher SS Offizier und Duzfreund Kiesingers u.a.“[163]

Erst 2005, als der Regisseur Malte Ludin einen Film über seinen Vater und seine Familie auch in Tübingen präsentierte[164] und das „Schwäbische Tagblatt“ aus diesem Anlass eine Sonderseite über Gmelins Nazivergangenheit veröffentlichte,[165] wurde Hans Gmelins Rolle – endlich – in der Tübinger Öffentlichkeit diskutiert und auch die Frage, ob er der ihm verliehenen Ehrenbürgerwürde würdig sei. Dass die deutsch-französische Gesellschaft in Tübingen nach wie vor ein Preis verleiht, der nach ihm benannt ist,[166] wohl deshalb, weil er sich um die deutsch-französische Verständigung verdient gemacht habe, ist hingegen noch nicht problematisiert worden.

Bereits 1982 war Gmelin in einem Standardwerk über die Ermordung der europäischen Juden erwähnt worden, wenngleich nur in einer Fußnote.[167] Aber die hatte in Tübingen offenbar niemand entdeckt. Thematisiert wurde die Erwähnung jedenfalls nicht.

[1]     Den Begriff der Vergangenheitspolititik prägte Norbert Frei, in: Frei, Norbert, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1986

[2]     § 46 Abs. 1 S. 1 Gemeindeordnung Württemberg-Hohenzollern (vom 14.3.1947)

[3]     § 48 Abs. 2 S. 1 Gemeindeordnung Württemberg-Hohenzollern

[4]     § 25 Abs. 1 Gemeindeordnung Württemberg-Hohenzollern

[5]     Wehling, Hans-Georg, Kommunalpolitik in Baden-Württemberg, in: Frech, Siegfried / Reinhold Weber (Hrsg.), Handbuch Kommunalpolitik, Stuttgart 2009, S. 14

[6]     Ebd.

[7]     Schwäbisches Tagblatt, 11.10.1954

[8]     Schwäbisches Tagblatt, 25.10.1954

[9]     § 42 Absatz 4 Satz 1 Gemeindeordnung Baden-Württemberg: „Die Amtszeit des Bürgermeisters beträgt acht Jahre, bei unmittelbarer Wiederwahl nach Ablauf der Amtszeit zwölf Jahre.“

[10]    Als Beispiel die Oberbürgermeisterwahl 1962: Gmelin 13.831 Stimmen, Sonstige 203 Stimmen, Wahlbeteiligung 51,67 Prozent (Schwäbisches Tagblatt, 15.10.1962)

[11]    Ebd.

[12]    Wehling 2009, S. 18

[13]    Harpprecht, Klaus, Herta, adieu, Die Zeit, Nr. 41 vom 2.10.2002

[14]    Aussage vor der Spruchkammer, zit. n. Lang, Hans-Joachim, Die rechte Hand des Botschafters. Vor 60 Jahren endete die Dipomatenkarriere des Tübinger Nachkriegs-OB Hans Gmelin im Internierungslager, in: Schwäbisches Tagblatt, 28.4.2005

[15]    Tönsmeyer, Tatjana, Das Dritte Reich und die Slowakei. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn, Paderborn u.a. 2003, S. 351. Laut „Alte Kameraden“, 29. Jg., Nr. 10/1981, S. 33, seit 1939 Landgerichtsrat.

[16]    Ebd.

[17]    Normannen-Blätter, Nr. 25, April 1933, S. 409

[18]    Normannen-Blätter, Nr. 22, April 1932, S. 349

[19]    Mammone, Francesco, Dokumentation: Recherchen im Berliner Bundesarchiv, in: Daur, Albrecht, und Francesco Mammone, Eine kleine Geschichte der Verbindung Normannia, Tübingen 2007, S. 69ff. (S. 74). Vgl. auch die Einschätzung bei Dallinger, Peter, Die Normannia in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: Daur u.a. 2007, S. 54ff. (S. 65), wonach die „Aktivitas“ 1933 bereit zur „unbedingte[n] Übernahme nationalsozialistischen Gedankenguts“ war.

[20]    Tönsmeyer 2003, S. 351

[21]    Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1982, S. 810

[22]    Tönsmeyer 2003, S. 351

[23]    Tönsmeyer 2003, S. 90, Fußnote 141

[24]    Vgl. Schüddekopf, Otto-Ernst, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918-1933, Frankfurt/M. u.a. 1973 (zu Ludin S. 294). Ferner zu Ludin 1933 und davor: Grill, Johnpeter Horst, The Nazi Movement in Baden, 1920-1945, Chapel Hill 1983, S. 210ff., S. 248, S. 251. Apologetisch Krebs, Albert, Tenedenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei, Stuttgart 1959, S. 214ff.

[25]    Vgl. Bucher, Peter, Der Reichswehrprozess. Der Hochverrat der Ulmer Reichswehroffiziere, Boppard 1967

[26]    Scheringer, Richard, Das große Los. Unter Soldaten, Bauern und Rebellen, Berlin (DDR) 1961, S. 382

[27]    Tönsmeyer 2003, S. 351

[28]    Döscher, Hans-Jürgen, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der ‚Endlösung‘, Berlin 1987, S. 205f.

[29]    Zu dieser Tübinger Division vgl. Rüggeberg, Jens, Streit um ein Denkmal – Streit um das Gedenken, in:

[30]    Scheringer 1961, S. 438

[31]    Tönsmeyer 2003, S. 90, Fußnote 141, und S. 356f. Hoensch, Jörg K., Grundzüge und Phasen der deutschen Slowakei-Politik im Zweiten Weltkrieg, zit. n. dem Wiederabdruck in: Ders., Studia Slovaca. Studien zur Geschichte der Slowaken und der Slowakei, München 2000 (Festgabe zu seinem 65. Geburtstag – erschienen als Bd. 93 der Veröffentlichungen des Collegium Carolinum), S. 249ff., bezeichnet Ludins Adjutanten Gmelin und seinen Kulturattaché Snyckers als seine „engsten Mitarbeiter“ (S. 269).

[32]    Zur Rolle und den Aufgaben der Gesandtschaft vgl. neben Tönsmeyer 2003 auch Kaiser, Joachim, Die Politik des Dritten Reiches gegenüber der Slowakei 1939-1945. Ein Beitrag zur Erforschung der nationalsozialistischen Satellitenpolitik in Südosteuropa, Diss. Bochum 1969, sowie neuerdings Conze, Eckart/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S. 274ff.

[33]    Conze u.a. 2010, S. 274. Zur Verfolgung und Ermordung der slowakischen Juden und der Rolle der Deutschen Gesandtschaft gibt es weitere Literatur. Beispielhaft erwähnt seien Hillberg, Hoensch, Lipscher, Ladislav, Die Juden im slowakischen Staat 1939-45, München und Wien 1980; Rotkirchen, Livia, The Destruction of slowak Jewry. A documentary History, o.O., o.J. (Jerusalem 1961) (= From the Yad Vashem Archives, Vol. III)

[34]    Lang 2005 zitiert zwei einschlägige Dokumente aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, die Gmelins Paraphe tragen.

[35]    Tönsmeyer 2003, S. 179

[36]    Venohr, Wolfgang, Aufstand in der Tatra. Der Kampf um die Slowakei 1939-1944, Königstein/Ts. 1979, S. 55, Fußnote 6

[37]    Freilassungsantrag vom 11.3.1946, Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 8 Nr. 2138

[38]    Arbeitszeugnis vom 20.8.1948, Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 8 Nr. 2138

[39]    Vernehmungen Gmelins am 15.6.1948, Staatsarchiv Nürnberg, KV-Ankl. Interrogations, Nr. G-45

[40]    Eidesstattliche Versicherung vom 15.6.1948, Staatsarchiv Nürnberg, KV-Ankl. Dok. Fotop., NO-5921; Vernehmung Gmelins vor der Kommision, Staatsarchiv Nürnberg, Militärgerichtshof IV, Fall XI, 18. Juni 1948, Protokoll S. 9441ff.

[41]    Vernehmung Gmelins vor der Kommision, Staatsarchiv Nürnberg, Militärgerichtshof IV, Fall XI, 18. Juni 1948, Protokoll S. 9453 (Einlassung Dr. Bracht)

[42]    Staatskommissariat für die pol. Säuberung, Land Württemberg-Hohenzollern, Spruchkammer, Niederschrift vom 2.11.1950, Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 8 Nr. 2138

[43]    Von Gemlin eigenhändig ausgefüllter Personalbogen vom 10.9.1954, SAT A 510 Gmelin, Hans

[44]    Döscher 1987, S. 315

[45]    Ausführlich schildert die Genese dieses umstrittenen Gesetzes: Frei 1996, S. 69ff.

[46]    Lang 2005

[47]    Schwäbisches Tagblatt, 9.10.1954

[48]    Schwäbisches Tagblatt, 25.9.1954

[49]    Ebd.

[50]    Das Flugblatt war der Ausgabe des „Schwäbischen Tagblatt“ von Samstag, 9.10.1954, beigelegt (Siebeck, Hans Georg, Schreiben an Tagblatt-Verleger Ernst Müller, 18.10.1954, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, bisherige Signatur S 6).

[51]    „Erklärung zur Oberbürgermeisterwahl“, 16.10.1954, SAT, ZGS 1 Gmelin, Hans

[52]    Ebd.

[53]    Schwäbisches Tagblatt, 27.10.1954

[54]    Schwäbisches Tagblatt, 30.10.1954

[55]    Das Wahlergebnis, auch in den einzelnen Stimmbezirken, wurde im Schwäbisches Tagblatt vom 25.10.1954 veröffentlicht.

[56]    Z.B. im „letzten Wort der Kandidaten“, Schwäbisches Tagblatt vom 23.10.1954: „Ein besonderes Anliegen ist es mir, den sozial Schwachen und den zahlreichen Opfern der Kriegs- und Nachkriegszeit ein Anwalt und Helfer zu sein.“

[57]    Er soll die alkoholisiert die Dienstlimousine des Oberbürgermeisters in den Straßengraben gefahren haben; anschließend habe er sie auf Kosten der Stadt reparieren lassen, so der Zeitzeuge Gerhard B.(Jahrgang 1932) im Gespräch mit dem Verfasser.

[58]    Roth, Markus, Herrenmenschen. Die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen – Karrierewege, Herrschaftspraxis und Nachgeschichte, Göttingen 2009, S. 509

[59]    Eine gute Zusammenfassung bietet: Röhr, Werner, „Neuordnung Europas“. Vor 60 Jahren: Die „Aktion Zamość “ und der „Generalplan Ost“. Teil I, in: Junge Welt, 27.11.2002, und. Ders., Speerspitze der „Volkstumspolitik“. Vor 60 Jahren: Die „Aktion Zamość“ und der „Generalplan Ost“. Teil II, in: Junge Welt, 28.11.2002. Eine Dokumention stellt dar: Madajczik, Czeław (Hrsg.), Zamojszczyzna – Sonderlaboratorium SS. Zbiór dokumentów polskich i niemieckich z okresu okupacji hitleroskiej, 2 Bände, Warschau 1977 (zitiert die Dokumente im deutschen Original und bringt auch etliche Dokumente, die von Weihenmaier stammen oder ihn erwähnen, – vgl. z.B. Bd. 1, S. 14 und 155).

[60]    Von den vorgesehenen 60.000 Ansiedlern wurden insgesamt „nur“ 9.000 auf insgesamt 126 Dörfern verteilt (Röhr, 28.11.2002). Auch die Familie des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler wurde in einem Dorf im Kreis Zamość angesiedelt und er selbst dort im Februar 1943 geboren (Lesser, Gabriele, Das Versöhnliche im späten Besuch. Exbundespräsident Horst Köhler besucht seine alte Heimat in Ostpolen – und begegnet einer dankbaren Bevölkerung, in: Die Tageszeitung, 12.5.2011).

[61]    Seine Sekretärin in Zamość von 1940 bis 1944 wird es gewusst haben. Anne W. hatte ihm schon in Reutlingen gedient. Von der Statsanwaltschaft Dortmund wurde sie vernommen, als diese wegen der Ermordung von Juden im Raum Zamość ermittelte. 1960 wurde sie Vorzimmerdame Hans Filbingers, damals Innenminister in Stuttgart. (Klemp, Stefan, KZ-Arzt Aribert Heim. Die Geschichte einer Fahndung, Münster u.a. 2010, S. 121 und S. 319).

[62]    Musial, Bogdan, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944, Wiesbaden 1999, S. 136

[63]    Ein Beispiel bringt Musial 1999, S. 260

[64]    Musial 1999, S. 331

[65]    Musial 1999, S. 316

[66]    Roth 2009, S. 387

[67]    Roth 2009, S. 509

[68]    Dr. Wilhelm Schäfer (Busko) war Prokurist einer Tübinger Essigfabrik, Carl Hermann Rieger (nacheinander Przemyśl, Sanok, Jarosław, ab 1940 Landrat von Rottweil) Oberregierungsrat bei verschiedenen Behörden, und  Heinz Albert Ritter (1939-43 Opatów) war bereits 1948 Oberregierungsrat (Roth 2009, S. 500 und S. 496ff.; Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg 1810 bis 1972, Stuttgart 1996, S. 486f., S. 463f. Und 467).

[69]    „Silbermedaille für Helmut Weihenmaier. Stadtverwaltung und Gemeinderat danken dem scheidenden Mitarbeiter, Freund und Vorgesetzten“, in: Schwäbisches Tagblatt, 1.6.1960

[70]    Verzeichnis der eingegangenen Bewerbungen um die Stelle des Ersten hauptamtlichen Beigeordneten vom 13.6.1960, SAT, A510/Doege

[71]    Vgl. die zeitgenössischen Dokumentation: Tagung des Amtes für Gnadensachen in der Kanzlei des Führers der NSDAP. 13. und 14. Mai 1938 in der Akademie für Deutsches Recht („Geheim! Nur für den Dienstgebrauch!“). Es ist unklar, ob Doege an der Tagung bereits teilgenommen hat. Am 14.4.1938 hatte er sein Assessorexamen abgelegt und war anschließend in den Dienst des Reichsinnenministeriums übernommen und an die „Kanzlei des Führers“ abgeordnet worden (Verzeichnis der eingegangenen Bewerbungen um die Stelle des Ersten hauptamtlichen Beigeordneten; Personalbogen; beides SAT, A510/Doege).

[72]    Protokoll der Sitzung des Tübinger Gemeinderats vom 6.7.1960, GRP 1960, § 637, SAT, A75/203 (Bd. 1)

[73]    Eigenes Zeugnis: GRP 1960, § 637, SAT, A75/203 (Bd. 1)

[74]    Personalbogen, SAT A510/Jäger

[75]    Krebs, Gerhild, Nationalsozialistische Dorfarchitektur und Raumplanung im Saarland und in Lothringen (1939/1940-1944), in: Hudemann, Rainer, u.a. (Hrsg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrnotalière – Traces  et réseaus dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken, 3. Auflage 2009,publiziert. als CD-ROM sowie im Internet unter URL: http://www.menotransfront.uni-saarland.de bzw. http://www.memotransfront.uni-saarland.de/pdf/nationalsozialistische_dorfarchitektur.pdf, S. 6 [Stand: 5.8.2011]

[76]    Krebs 2009, S. 6

[77]    Vgl. auch Muskalla, Dieter, Zerstörung und „Neugestaltung“ von Siedlungsstrukturen während der NS-Zeit (Saar / Pfalz / Lothringen), in:Saarpfalz-Hefte. Blätter für Geschichte und Volkskunde, 1998, Heft 2, S. 5ff.

[78]    Personalbogen, SAT A510/Jäger

[79]    Personalbogen, SAT A510/Jäger

[80]    Gemeinderatsprotokoll vom 22.10.1956, GRP 1956, § 814, S. 2322 (SAT, A 75/199, 2. Bd.)

[81]    1976 zeigte er Reue: „Das Schwabenhaus abzureißen, würde ich heute nicht mehr vorschlagen.“ (zitiert nach: Mü-,  Möglich oder notwendig. Heute wird Richard Jäger in den Ruhestand verabschiedet, Schwäbisches Tagblatt, 27.10.1977)

[82]    Ströbel, Eckhard, Nordtangente abgelehnt. Der erste Bürgerentscheid in der Stadt. URL: http://www.zeit-zeugnisse.de/Home/themen_artikel,-Der-erste-Buergerentscheid-in-der-Stadt-_arid,132777.html [Stand: 6.8.2011]

[83]    Rieth, Adolf, „Konvikt eben verlegen“. Leserbrief, Schwäbisches Tafgblatt, 27.10.1977

[84]    Bartetzko, Dieter, Die vielen Häutungen einer Stadt. Vorwärts, nichts vergessen: Frankfurt-Fotografien von Ursula Edelmann, FAZ, 2.8.2011

[85]    Bartetzko, Dieter, Illusionen in Stein – Stimmungsarchitketur im deutschen Faschismus. Ihre Vorgeschichte in Theater- und Filmbauten, Reinbek 1985 – zudem Dissertation über Vorformen und Wirkungsgeschichte von NS-Architektur.

[86]    Dienstliche Mitteilung vom 21.10.1965, SAT A515/O., Franz

[87]    Wehling 2009, S. 14

[88]    Wehling 2009, S. 13

[89]    § 51 Absatz 2 Satz 1 Gemeindeordnung für Württemberg-Hohenzollern

[90]    § 49 Absatz 2 Satz 1 Gemeindeordnung für Württemberg-Hohenzollern

[91]    § 137 Absatz 4 Gemeindeordnung Baden-Württemberg

[92]    §§ 49 Absatz 1 Satz 1 und 50 Absatz 1 Satz 1 Gemeindeordnung Baden-Württemberg

[93]    SAT, GRP, § 153, Sitzung vom 28.3.1955, S. 671

[94]    So auch ein Herr Rieger, bei dem es sich um Oberregierungsrat Carl Hermann Rieger (Fußnote 53) gehandelt haben könnte.

[95]    SAT, GRP 1955, § 153, Sitzung vom 28.3.1955, S. 676

[96]    SAT, GRP 1955, § 526, Sitzung vom 10.10.1955, S. 1998ff.

[97]    SAT, GRP 1955, § 558, Sitzung vom 24.10.1955, S. 2088ff.

[98]    Der neue Stadtdirektor gewählt. Gemeinderat für Regierungsdirektor Helmut Weihenmaier / Maßnahmen gegen unerlaubtes Bauen, Schwäbisches Tagblatt, 25.10.1955

[99]    SAT, GRP 1956, § 244, Sitzung vom 2.7.1956, S. 1ff.

[100]  SAT, GRP 1956, § 244, Sitzung vom 2.7.1956, S. 2

[101]  SAT, GRP 1960, § 637, Sitzung vom 6.7.1960, S. 1521

[102]  Erstaunlich ausführlich: SAT, GRP 1960, § 637, Sitzung vom 6.7.1960, S. 1521ff.

[103]  SAT, GRP 1960, § 640, Sitzung vom 25.7.1960, S. 1569ff.

[104]  SAT, GRP 1960, § 641, Sitzung vom 25.7.1960, S. 1578f.

[105]  Tönsmeyer 2003, S. 351; Die Burschenschaft Normannia zu Tübingen. Mitgliederverzeichnis, Tübingen 1934, S. 57

[106]  Dvorak, Helge, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Band 1: Politiker, Teilband 2: F-H, Heidelberg 1999,S. 147f.

[107]  Unter URL: http://www.audiovis.nac.gov.pl/obraz/47180/h:388/ [Stand: 6.8.2011] ist ein Foto vom 14.4.1942 veröffentlicht, dass „Reichsamtsleiter“ Ulrich Gmelin mit Joseph Goebbels zeigt.

[108]  In den „Normannen-Blättern“ Nr. 20 vom September 1931 wird Ulrich Gmelin als „Altensohn“ klassifiziert (S. 308).

[109]  Burschenschaft Normannia 1934, S. 53

[110]  SAT, GRP 1960, § 637, Sitzung vom 6.7.1960, S. 1533

[111]  Gemeinderatsprotokoll vom 26.11.1956, GRP, § 858, S. 2469 (SAT, A75/199, 2. Bd.)

[112]  A.a.o.., S. 2467

[113]  A.a.o., S. 2471

[114]  Ebd.

[115]  Vernehmung Gmelins vor der Kommision, Militärgerichtshof IV, Fall XI, 18. Juni 1948, Protokoll S. 9472 (Einlassung Gmelin)

[116]  Senfft 2007, S. 164

[117]  Senfft 2007, S. 195f.

[118]  Vgl. Senfft, Alexandra, Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte, Berlin 2007

[119]  Senfft 2007, S. 145

[120]  Senfft 2007, S. 145; Köhler, Otto, Der häßliche Deutsche. Jürgen Gerhard Todenhöfer, in: Konkret, Heft 2/1986, S. 18ff.; Conze u.a. 2010, S. 144, S. 653f.

[121]  Zu Steimle: Lächele, Rainer, Vom Reichssicherheitshauptamt in ein evangelisches Gymnasium – Die Geschichte des  Eugen Steimle, in: Lächele, Rainer, und Jörg Thierfelder (Hrsg.), Das evangelische Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau, Stuttgart 1995 (= Quellen und Forschungen zur württembergischenn Kirchengeschichte, Bd. 13), S. 260ff.; ders.,  Vom Reichssicherheitshauptamt in ein evangelisches Gymnasium – Die Geschichte des  Eugen Steimle, in: Binder, Hans-Otto, Die Heimkehrertafel als Stolperstein. Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit in Tübingen, Tübingen 2007 (= Kleine Tübinger Schriften, Heft 32), S. 61; Rüggeberg, Jens, Eugen Steimle und die „Heimkehrertafel“. Seit über einem halben Jahrhundert wird am Tübinger Holzmarkt eines NS-Verbrechers gedacht, in: Schwäbisches Tagblatt, 23.8.2003. Vgl. auch den Beitrag von Binder, Hans-Otto, in diesem Band.

[122]  Studentenakte Eugen Steimle, UAT 364/27105; Verzeichnis der Studierenden, Sommersemester 1930 (hektographiert).

[123]  Studentenakte Hans Gmelin, UAT 364/8011; Verzeichnis der Studierenden, Sommersemester 1930 (hektographiert).

[124]  Normannen-Blätter, Nr. 15 vom Januar 1930, S. 216

[125]  Normannen-Blätter, Nr. 17 vom September 1930, S. 249

[126]  Normannen-Blätter, Nr. 25 vom April 1933, S. 407

[127]  Normannen-Blätter, Nr. 25 vom April 1933, S. 409

[128]  Normannen-Blätter, Nr. 23 vom September 1932, S. 363

[129]  Normannen-Blätter, Nr. 11 vom September 1928, S. 150, und Nr. 13 vom April 1929, S. 184

[130]  Ruck, Michael, Korpsgeist und Staatsbewußtsein. Beamte im deutschen Südwesten 1928 bis 1972, München 1996 (= Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, Bd. 4), S. 39

[131]  Ruck 1996, S. 41

[132]  Brief vom 8.8.1957, SAT A570a, 243, Neckarh. 1-Neckarh. 8 (Aktenbestand des Wohnungsamts). Lächele 2007, S. 68f.

[133]  Rauch, Udo, Zur Geschichte der Heimkehrertafel am Holzmarkt, in: Binder 2007

[134]  Rüggeberg, Jens, „“Wie ist so etwas möglich?“, in: Schwäbisches Tagblatt, 11.9.1998

[135]  Rüggeberg 2003

[136]  Rauch 2007

[137]  Wieder kehrte einer zurück. Ludwig Griesinger kam aus der Tschechei / Noch acht Tübinger im Osten, in: Schwäbisches Tagblatt, 18.6.1955

[138]  Zu Bücheler: Geschichtswerkstatt Tübingen (Hrsg.), Zerstörte Hoffnungen. Wege der Tübinger Juden (= Beiträge zur Tübinger Geschichte, Bd. 8), S. 387, 390f. und 399

[139]  Für den Hinweis auf und die Informationen über Griesinger bedanke ich mich bei Jens Kolata, der mir seinen Aufsatz „Die Staatspolizei-Außenstelle Tübingen“ (Arbeitstitel) zur Verfügung stellte. Der Aufsatz wird voraussichtlich Anfang 2012 veröffentlicht in: Bauz, Ingrid, Sigrid Brüggemann und Roland Maier (Hrsg.), Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Entwicklung – Verfolgungspraxis – Personen.

[140]  Faksimile in: Jiřík, Václav, Nedaleko od Norimberku. Z dějin Mimořádného lidového soudu v Chebu v letech 1946 až 1948 [Unweit von Nürnberg. Aus der Geschichte des Außerordentlichen Volksgerichts von Cheb in den Jahren 1946 bis 1948], Cheb 2000, S. 88

[141]  Einzelheiten bei Jiřík 2000, S. 82ff. – Für ihre Übersetzungshilfe bei der Lektüre des tschechischen Textes danke ich Frau Dr. Tamara Klingenberg, Tübingen.

[142]  Jiřík 2000, S. 94. – Die Verurteilung zu 20 Jahren Gefängnis ergibt sich aus Jiřík 2000, S. 93 und S. 639.

[143]  SAT, GRP 1958, § 1844, 17.11.1958, S. 4. Vgl. auch Lang, Hans-Joachim, Tübingen nach dem Holocaust: Wie sehr die Stadt ihre Juden vermißte, in Binder 2007, S. 95ff. (102).

[144]  Zapf, Llilli, Die Tübinger Juden. Eine Dokumentation, 3. Auflage 1981 (erstmals 1974 erschienen)

[145]  Zitiert nach: Lang, 2007, S. 109

[146]  Tönsmeyer, Tatjana, Die Einsatzgruppe H in der Slowakei, in: Hösler, Joachim, und Wolfgang Kessler (Hrsg.), Finis mundi – Endzeiten und Weltenden im östlichen Europa. Festschrift für Hans Lemberg zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1998 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 50), S. 168, Fußnote 4

[147]  Vor einigen Jahren wurde dem Tübinger Stadtarchiv ein Konvolut von Redemanuskripten der Oberbürgermeister Gemlin und Schmid übergeben.

[148]  SAT A200/5646

[149]  Rede vom 13.11.1955, SAT 200/5658

[150]  Rede vom 19.11.1972, SAT 200/5658

[151]  „Alte Kameraden“, Nr. 10/1981, S. 33. Ferner: Die 78. Infanterie- und Sturmdivision 1938-1945. Eine Dokumentation in Bildern. Aufstellung, Bewaffnung, Einsätze, Soldaten, Friedberg 1981, S. 165. Kritisch zum „Kameradenhilfswerk“: Rüggeberg, Jens, Streit umn ein Denkmal – Streit um das Gedenken. Die 78. Infanteriedivison und ihr Tübinger Gefallenendenkmal, in: Erinnern gegen den Schlußstrich. Zum Umgang mit dem Nationalsozialismus, Freiburg 1997, S. 157ff.

[152]  Schwäbisches Tagblatt, 23.9.1991; „Alte Kameraden“, Nr. 11/1991, S. 29.

[153]  Rüggeberg 1997, S. 157; Schwäbisches Tagblatt, 10. und 12.10.1959

[154]  Schwäbisches Tagblatt, 11.6.1969

[155]  Gebhart, Patricia, Der Fall Theodor Haering. Geschichte eines Tübinger Ehrenbürgers. Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit in Tübingen, Tübingen 2008, S. 82f.

[156]  Gebhart 2008, S. 83ff.

[157]  Geboren 1943 in Bratislava

[158]  Senfft 2007, S. 113

[159]  Roth 2009, S. 392

[160]  Ebd.

[161]  Hans-Otto Binder in einer E-Mail vom 1.9.2011 an den Verfasser

[162]  „Und diese Angriffslust habe ich“. Im Gespräch mit dem TAGBLATT reflektiert Hans Gmelin über seine zwanzig Oberbürgermeister-Dienstjahre, in: Schwäbisches Tagblatt, 21.12.1974

[163]  ROZ, Entlassungen…, undatiert, SAT, A515, Gmelin

[164]  „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“, Dokumentarfilm, Deutschland 2005

[165]  Lang, Hans-Joachim, Die rechte Hand des Botschafters. Vor 60 Jahren endete die Diplomatenkarriere des Tübinger Nachkriegs-OB Hans Gmelin im Internierungslager, Schwäbisches Tagblatt, 28.4.2005

[166]  Jüngstes Beispiel: Erfolg für TübAix. Bilingualer Studiengang erhält Gmelin-Preis, in: Schwäbisches Tagblatt, 21.6.2010

[167]  Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1982, S. S. 501, Fußnote 1190