Cäsar von Hofacker

14. März 2024

Beitrag vor der Neuen Aula am 11. März 2023

Am 25. Juli 1944 wird er in Paris verhaftet. Hilfsangebote zur Flucht hatte er nicht genutzt, um seine Frau und Kinder nicht zu gefährden. „Ich bedaure, nicht an der Stelle meines Vetters Stauffenberg gewesen zu sein, der durch eine schwere Kriegsverletzung verhindert war, die Tat zu vollenden,“ erklärt er bei einer der ersten Vernehmungen, noch in Paris. Dann Berlin: Schwerste Misshandlungen in den Kellern der berüchtigten Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße. Er belastet und verrät niemanden. Prozess vor dem Volksgerichtshof. Zitat aus einem geheimen Prozessbericht an Martin Bormann, Parteikanzlei der NSDAP: „Große Erscheinung, überlegter ruhiger Mensch, jedoch Typ des Umstürzlers aus Überlegung, typischer Intellektueller, Repräsentant der Reaktion. (…) Kein bloßer Mitläufer, sondern treibende Kraft. (…) Zum Schluß stellte v. Hofacker die ungeheuerliche Behauptung auf, er habe am 20. Juli mit dem gleichen Recht gehandelt wie der Führer am 9. November 1923. Keinerlei Gefühl für seine Verräterstellung.“ Als ihm der Gerichtsvorsitzende Freisler das Schlusswort abschneiden will, schleudert ihm Hofacker die Worte entgegen: „Sie sollten jetzt schweigen, Herr Präsident, denn jetzt geht es um meinen Kopf, in einem Jahr aber um den Ihren.“ Am 30. August zum Tode verurteilt, wird Cäsar von Hofacker am 20. Dezember 1944 hingerichtet.

Cäsar von Hofacker wurde 1898 in Ludwigsburg als Sohn eines später geadelten Generals geboren. Er entstammte einer Familie der württembergischen Ehrbarkeit, die viele Pfarrer gestellt hatte. Einer seiner Vorfahren war Ludwig Hofacker. Kennern des württembergischen Pietismus ist dieser Name geläufig. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war er zu Sprachstudien in Frankreich und Großbritannien. 1914 Freiwilliger im Regiment seines Vaters. Geriet als Offizier in französische Kriegsgefangenschaft. 1920 nahm er nach seiner Rückkehr ein Jurastudium in Tübingen auf. Inzwischen wohnten seine Eltern hier in der Waldhäuser Str. 29. Er stand politisch ganz rechts und war Mitbegründer des „Hochschulrings Deutscher Art“. Aus dieser Zeit sind Schriften völkischen und antisemitischen Inhalts von ihm überliefert. Nach den Examina und der Promotion machte er ab 1925 Karriere in der Industrie, zunächst bei der Krefelder Seidenindustrie und dann bei der Verwaltungsstelle Berlin der Vereinigten Stahlwerke AG, bei der er 1936 Prokura erhielt. Nebenher blieb er politisch interessiert und aktiv. 1930 trat der dem „Stahlhelm“ bei und wurde 1934 in die SA überführt. 1933 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP. Er scheint in den diplomatischen Dienst gestrebt zu haben, aber weder die NSDAP noch das Auswärtige Amt nahmen ihn auf. Erst nach dem Ende des vierjährigen Aufnahmestopps wurde der 1937 NSDAP-Mitglied.

Gleichzeitig geriet er immer mehr in Opposition zum Regime. Das klingt paradox und ist nicht einfach zu erklären. Als ein jüdischer Hausbesitzer enteignet werden sollte und die Mieter die Miete nicht mehr bezahlen wollten, protestierte er scharf dagegen und stellte dem Bedrängten Geldmittel zur Auswanderung zur Verfügung. Ein anderes Beispiel: Bereits Ende 1938 traf er sich im Hause Peter Graf Yorck von Wartenburgs (später: Kreisauer Kreis) mit gleichgesinnten Regimekritikern.

Als Reserveoffizier 1939 einberufen, nahm er zunächst am Überfall auf Polen teil und wurde dann 1940, was aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit naheliegend war, Leiter des Referats „Eisenschaffende Industrie und Gießereien“ bei der Besatzungsbehörde des Militärbefehlshaber West in Paris. In dieser Behörde gab es etliche hohe Offiziere, die zwar konservativ orientiert waren und dem Naziregime kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, ihm aber gleichwohl dienten. Allen voran General von Stülpnagel, Militärbefehlshaber seit 1942, der einerseits schon 1938 an Plänen zur Absetzung Hitlers beteiligt gewesen war, andererseits in besetzten sowjetischen Gebieten als Befehlshaber mit „Einsatzgruppen“ kooperierte hatte, also mehr oder weniger direkt am Holocaust beteiligt war. Seit Frühjahr 1943 soll ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Stülpnagel und Hofacker bestanden haben, der inzwischen von Rüstungsminister Speer mit der Leitung der „Außenstelle zentrale Planung“ für die französische eisenschaffende Industrie beauftragt worden war und somit die französische Industrie noch stärker auszupressen verpflichtet war. Im Oktober 1943 bat er um Entbindung von seinem Posten und übernahm dann eine Koordinationsaufgabe im Stab Stülpnagels. Dies gab ihm die Möglichkeit, enge Kontakte mit Oppositionskreisen in Berlin zu pflegen, insbesondere mit seinem Vetter Stauffenberg. Bald war er Teil des engsten Verschwörerkreises, zu dem neben Stauffenberg auch Julius Leber gehörte. Dieser Kreis, den Karl Heinz Roth „Aktionsgruppe des 20. Juli“ nennt, stand im Gegensatz zum viel stärker konservativ orientierten Goerdeler-Leuschner-Kaiser-Kreis. Kurz vor Hitler-Attentat und Putschversuch vom 20. Juli war die Opposition praktisch zerstritten, und die Gruppe um Goerdeler wurde an den konkreten Umsturzplanungen nicht mehr beteiligt. Goerdeler wollte nämlich –

vollkommen unrealistisch – noch im Sommer 1944 nach einem Umsturz in Verhandlungen mit den Westalliierten eintreten, obwohl längst klar war, dass nur noch eine bedingungslose Kapitulation an allen Fronten, also auch im Osten, akzeptiert werden würde. Und er und Leuschner waren strikt dagegen, im Rahmen eines Putsches auf einen parallel erfolgenden Volksaufstand zu setzen. Leber und andere ehemalige Gewerkschafter und Sozialdemokraten aus dem Kreis um Stauffenberg dagegen standen in direktem Kontakt mit der Saefkow-Bästlein-Jacob-Gruppe, einer kommunistischen Widerstandsorganisation, zwecks Vorbereitung des „Tag X“. Als diese Gruppe sowie ihre sozialdemokratischen Kontaktleute, auch Leber, ab dem 4. Juli Verhaftungsaktionen zum Opfer fielen – die Gestapo hatte einen Spitzel eingeschleust –, hatte Stauffenberg seine wichtigsten Bündnispartner verloren.

In Paris koordinierte Hofacker, von Stülpnagel gedeckt, die Vorbereitungen. Auch er hatte Kontakt zur Linken. Zweimal traf er sich im Untergrund mit Otto Niebergall, Exil-Chef der KPD in Frankreich und Vorsitzender des Nationalkomitee „Freies Deutschland“ für den Westen, sowie Vertretern der französischen Résistance. Niebergall berichtete später, Hofacker habe sogar mündlich seinen Beitritt zum Nationalkomitee erklärt. Paris war der einzige Ort, an dem die Umsturzplanungen vollständig und erfolgreich umgesetzt werden konnten. 1.200 Angehörige von SS und Sicherheitsdienst wurden praktisch widerstandslos verhaftet, wofür sie sich danach zu rechtfertigen hatten. Aber nachdem der Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall von Kluge, zugleich auch Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, erfahren hatte, dass Hitler noch lebte, und sich daraufhin weigerte mitzumachen und befahl, die Verhafteten freizulassen, wurden sie tatsächlich alle wieder auf freien Fuß gesetzt.

Der Umsturz war somit auch in Frankreich gescheitert. Seine Protagonisten wurde von den Nazis ermordet, darunter Hofacker und Stülpnagel. Die Angehörigen der Verschwörer wurden verhaftet (so genannte Sippenhaft), auch Hofackers Schwester Brigitte von Kaehne aus Tübingen, die nach der Befreiung jahrzehntelang in der Mörikestraße 1 wohnte und 1990 starb. Sie war übrigens Gründungsmitglied der VVN. Auf der Gründungsversammlung der VVN Württemberg Hohenzollern am 31.8.1947 im Schillersaal des „Museum“ in Tübingen wurde sie zu einer der Beisitzerinnen des Vorstands gewählt. Später muss sie die VVN allerdings wieder verlassen haben, wann genau, konnte ich leider noch nicht herausfinden.

Als Fazit ein kurzes Zitat von Karl Heinz Roth, der die Beteiligung von Angehörigen der Offiziersopposition an schlimmsten Naziverbrechen beschrieb und analysierte und dann zu Frankreich schrieb: „Es blieb einer um Stülpnagel gescharten Gruppierung jungkonservativer, den NS-Populismus ablehnender Intellektueller vorbehalten, diese effiziente wie kompromisslose Terrorpolitik zu ‚vergeistigen‘ und nach dem Krieg zu einer Manifestation des ‚anderen Deutschland‘ umzudeuten. Demgegenüber bleibt festzuhalten, dass sie mit Ausnahme Cäsar von Hofackers ihre chronische Panik vor dem ‚jüdischen Bolschewismus‘ nicht überwand (…).“

Jens Rüggeberg, VVN-BdA Tübingen-Mössingen

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